Ein wichtiger und langjähriger Weggefährte, der sich auch songwriterisch spürbar einbrachte, war Gitarrist Martin Barre, der von 1968 bis 2012 zum festen Line-up gehörte. Nicht wenige Fans der Band, vor allem die Die-Hard-Fraktion, vertritt vereint die Meinung, dass Jethro Tull seither einem Teil ihrer Seele beraubt wurden. Letztlich ist es aber Anderson, der dem Ganzen den Stempel aufdrückt und sein Baby durch diverse Stile wie Progressive Rock, Folk Rock, Electronic Rock oder Hard Rock bis hin zu World Music gesteuert hat. Waren die Reminiszenzen an die 70er schon beim Vorgänger «RökFlöte» (2023) wieder ausgeprägter, spinnt das neue Werk diesen Faden weiter.
Das dürfte die Aufmerksamkeit der geneigten Tull-Fans umgehend erregen und wird durch den Opener «Puppet And The Puppet Master» sogleich bestätigt. Nach einem kurzen Piano-Intro ist umgehend alles da, was man von dieser Truppe erwartet. Neben Anderson gehören noch Neu-Gitarrist Jack Clark (der hiermit seinen Album-Einstand feiert), David Goodier (b), John O’Hara (Piano/Keyboard), und Scott Hammond (d) dazu. Weitere Credits gehen an den Ex-Tull Andrew Giddings (Keyboards, 1991 bis 2007) und Drummer James Duncan. Da Ian zu jeder Zeit nur Könner um sich scharte, klingt auch der Titeltrack genau so, wie sich die Mucke in früheren Jahren präsentierte.
Während sich «Dunsinane Hill» von einer ruhigeren Seite zeigt, sprüht der folkige Track «The Tipu House» nur so vor Lebensfreude und bringt alle Trademarks an den Start, die einen typischen Song dieser Legende ausmachen. Dazu kommt, dass sich Andersons (Studio-) Gesang immer noch gleich wie vor einem halben Jahrhundert anhört, ganz zu schweigen von seinem unnachahmlichen Querflöten-Spiel. Mandoline und Harmonika, wie unter anderem auch bei «Stygian Hand», unterstreichen das folkige Flair, das untrennbar mit der DNA von Jethro Tull verbunden ist. Dabei weisen die Songs zumeist keine Überlängen auf und sind so wohltuend auf den Punkt gespielt.
Die progressive Vergangenheit und das Meisterwerk «Thick As A Brick» (1972) erinnern jedoch daran, dass es zwischendurch auch mal in die andere Richtung gehen kann. Das knapp 6-minütige «Over Jerusalem» (mit geiler Gitarre von Jack) weist schliesslich den Weg hin zum fast 17-minütigen Opus «Drink From The Same Well», wo sich der geneigte Fan erstmal in seinen bequemen Leder-Sessel fallen lässt und genüsslich alles aufsaugt, was ihm hier geboten wird. Vorab brilliert Anderson mit seiner Querflöte, bis der Gesang etwa in der Mitte einsetzt und hintenraus einmal mehr aufzeigt, dass das Licht auch auf «Curious Ruminant» immer noch ausreichend hell leuchtet!
Rockslave