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18. Oktober 2022, Pratteln – Z7
By Tinu
Eigentlich stand heute ein Konzertabend der Extraklasse bevor, nämlich mit Power Metal in seiner ureigensten Kultur, vorgetragen von zwei absoluten Speerspitzen der Szene. Auf der einen Seite Rage mit Mastermind Peavy, und auf der anderen Seite Brainstorm mit Sänger Andy B. Franck. Was deshalb für viele Besucher sorgen sollte, entpuppte sich letztlich als ziemlich bescheidener Auflauf der Fans. Dies wurde vor dem ersten Ton von Tri State Corner von den Anwesenden vor Ort gleich intensiv diskutiert. Alle, wirklich alle hatten mit mehr Besuchern gerechnet, und niemand konnte es verstehen, wieso diese Konstellation nicht mit mehr Aufmerksamkeit belohnt wurde.
Tri State Corner
Was viele auch nicht auf dem Radar hatten, waren Tri State Corner, die Truppe um den aktuellen Rage Trommler Lucky und den ehemaligen Rage Trommler Efthi. Während Lucky singt und Efthi hinter den Kesseln sitzt, wird das polnisch, griechische und deutsche Ensemble noch von Luckys Bruder Janni an der Bouzouki und Brat an der Gitarre ergänzt. Viele Anwesende staunten nicht schlecht, mit welcher Lockerheit und Feinfühligkeit das Quartett ihre von der griechischen Tradition stammenden Songs zum Besten gab. Viele Aussagen wie "die sind ja richtig geil" oder "wieso kannte ich die bis anhin nicht?" bewiesen, dass Tri State Corner eine Truppe sind, die durch ihre Musik auf sich aufmerksam macht. Okay, vielleicht auch durch ein beschädigtes Schlagzeug, und dies schon nach dem ersten Track! Dass Efthi noch immer wie ein Tier zuschlagen kann, musste die auszuwechselnde Fussmaschine am "eigenen Leib" erfahren. Die Auszeit wurde durch eine spontan eingelegte, akustische Performance überbrückt und liess den aufkommenden Stern der Jungs nochmals heller leuchten. Auch wenn die Truppe musikalisch nicht ins Programm passte, so überzeugten die Jungs auf ihre musikalische Art und waren eine gern gesehene Abwechslung zum nachfolgenden Programm. Tri State Corner liessen nichts als ihre Musik sprechen. Als Anheizer waren sie die perfekte Wahl und mit einem Rock-untypischen Instrument wie der Bouzouki ein willkommener Farbtupfer in der sonst von Gitarre, Bass und Schlagzeug dominierten Metal-Welt. Einmal mehr musste ich dem Quartett einfach zusehen, und dies lag nicht nur am Schlagzeugspiel von Efthi, sondern auch an der simplen, aber wirkungsvollen Darbietung der Jungs.
Brainstorm
Das schwäbische Power Metal Monster ist einfach eine Bank auf der Bühne. Die Rhythmus-Maschine in Form von Dieter Bernet, den beiden Gitarristen Thorsten "Todde" Ihlenfeld und Milan Loncaric sowie Neubassist Andreas Armbruster liessen musikalisch einmal mehr nix anbrennen. Der Zeremonienmeister ist und bleibt aber Andy B. Franck, der einmal mehr bewies, dass Spass auf der Bühne ansteckend ist und das Leben voller kleiner Fettnäpfchen besteht. So kündigte er seinen neuen Bassisten als Andy Mailänder, den Vor-Vorgänger von Mister Armbruster an. Master Franck schmiss sich danach vor Lachen fast weg. Dies allein belegt, dass den Jungs auf der Bühne, trotz Corona-bedingtem Unterbruch, der Spass noch immer aus dem Arsch scheint. Aus dieser auferlegten Zwangspause resultierten "fast" zwei Alben, welche die Truppen nun präsentieren mussten. Auf der einen Seite war dies der neuste Streich «Wall Of Skulls», und daraus wurden fünf Tracks gespielt. Hier könnte sich speziell «Glory Disappears» zu einem künftigen Live-Hit etablieren. Zum anderen waren vom Vorgängerwerk «Midnight Ghost» deren vier Lieder zu hören, bei denen «The Pyre» und vor allem das grossartige «Jeanne Boulet (1764)» hervor stachen. Aber auch «Ravenous Minds» als letzter Song des Sets besass seinen grossen Moment.
Alles wurde durch den nach wie vor stimmgewaltigen und ausdrucksstarken Andy vorgetragen. Einem Vollblut-Shouter, der durch die Show führte, das Publikum immer wieder zum Mitklatschen wie Mitsingen animierte und dabei auch die hinteren Reihen anwies, die Hände entsprechend anzuheben. Er ist einer dieser Sorte Sänger, denen man einfach an den Lippen klebt und die man immer wieder gerne hört wie sieht. Auch wenn Brainstorm viele Klassiker («Under Lights», «Fire Walk With Me», «How Do You Feel», «The Leading», «Hollow Hideway») nicht spielen konnten, überzeugten sie dennoch auf der ganzen Linie. Die Mischung aus harten Passagen und melodischen Elementen, gepaart mit eingängigen Refrains, machen aus den Deutschen längst eine Band mit internationalem Format. Freuen wir uns also jetzt schon auf das "ICE ROCK Festival" 2023, denn da werden die Jungs die Hütte mit einer sicherlich längeren Spielzeit zum Kochen bringen. Bis dahin aber absolvierten die Herren einen grandiosen Gig, der wirklich mehr Besucher verdient hätte. "Ihr wart richtig geil!" bedankte sich Andy beim Publikum immer wieder. Sackstark waren Band und Publikum bei den Chören zum Oberhit «All Those Words». An der Stelle wurde am Schluss des Auftrittes der Refrain von den Fans gar nochmals kurz weiter gesungen und die Band in den wohlverdienten Feierabend entlassen.
Setliste: «Chamber Thirteen (Intro)» - «Where Ravens Fly» - «Worlds Are Comin' Through» - «Devil's Eye» - «Shiva's Tears» - «Glory Disappears» - «Highs Without Lows (mit Drum Solo Dieter Bernet)» - «Thy Pyre» - «Jeanne Boulet (1764)» - «Bass Solo Andreas Armbruster» - «Escape The Silence» - «Turn Off The Light» - «All Those Words» - «Ravenous Minds»
Rage
Der zweite Headliner des Abends hatte nun die nicht leichte Aufgabe, das Niveau des grandiosen Gigs von Brainstorm zumindest halten zu können. Was proforma einem relativ aussichtslosen Unterfangen glich, beantworteten Peavy, Lucky und die beiden Gitarristen Stefan Weber (ehemals Axxis) und Jean Bormann jedoch sehr eindrucksvoll. Dass die Herren dabei auf den aktuellen Longplayer «Resurrection Day» zurück greifen würden, war klar. Zwei Tracks wurden daraus gespielt, und ansonsten überraschte das Quartett mit einer sehr geilen Setliste, in welche sich «Empty Hollow» vom «Strings To A Web» (2010) "verirrte" oder endlich wieder «Great Old Ones» von «Unity» (2002) erklang. Im Gegensatz zu Brainstorm spielten Rage auf dieser Tour zwei unterschiedliche Sets, bei denen fünf Tracks immer wieder ausgetauscht wurden.
Bevor es aber so weit war, zerdepperte Lucky beim zweiten Track eine weitere Fussmaschine. "Er lernte beim Besten", verkündete Jean und liess damit alle wissen, dass Lucky früher Schlagzeugschüler bei Efthi war. Bis die unentbehrliche Rhythmus-Maschine erneut repariert war, übernahm Jean das Zepter, halbierte die Fangemeinde und imitierte das sattsam bekannte Spielchen "welche Seite lauter schreien kann". Die beiden Gitarristen bringen spürbar neues Leben in die Band. Auch wenn ich Marcos noch immer ein bisschen nachtrauere, so sind Stefan wie auch Jean absolute Könner an ihren Instrumenten, und speziell Jean ist ein Derwisch auf der Bühne, der seine lange Matte immer wieder kreisen lässt. Stefan stand ihm in Nichts nach, und zusammen ergab das ein sehr aktives, wildes Bühnenbild. In dieser Konstellation spielten Rage zum ersten Mal im Z7, wo sie ein oft und gern gesehener Gast sind. Peavy hatte sichtlich Spass am Auftritt, auch wenn er gesundheitlich nicht auf der absoluten Höhe schien. Hinter ihm war es Lucky, der mit einer unglaublichen Lockerheit die Rhythmen mit wahren Donnerschlägen ins Z7 pochte und dabei immer ein breites Grinsen im Gesicht trug.
"Danke Freunde!", erklang diverse Male, und die Truppe liess es sich nicht nehmen, mit Überraschungen zu glänzen. So waren es «My Way» von «The Devil Strikes Again» (2016), wie auch die «Black In Mind» Klassiker «Sent By The Devil» und der Titelsong von 1995, aber auch «To Live And To Die» von der soeben veröffentlichten EP «Spreading The Plague», welche für viel Beifall sorgten. "Als dieser Song geschrieben wurde, da war ich noch gar nicht geboren", kündete Jean «Don't Fear The Winter» an. "Da war bloss Papa Peavy da", was der Angesprochene zum Anlass nahm, dass er Stefan zur Schwester und Lucky zur Mutter von Jean machte. Ja, es sind einige Jahrzehnte seit den seligen Avenger Zeiten (der Vorband von Rage) ins Land gezogen. So können die Herren schon bald vierzig Kerzen auf der Geburtstagstorte der Band anzünden. Das Schöne daran ist, dass die Truppe nichts von ihrer Aggressivität wie Musikalität verloren hat und Lieder wie «From The Cradle To The Grave» noch immer überzeugen. Dass auch bei Rage viele Hits auf der Seite liegen gelassen werden mussten, ist bei diesem Backkatalog klar, und bei Double Headliner Shows "leidet" nun mal die Spielzeit darunter.
Nach den letzten Klängen vom Klassiker «Higher Than The Sky» liessen sich dich Jungs vom Publikum zurecht feiern. Rage verabschiedeten sich dann als Papa Peavy, Mama Lucky, Sohn Jean und Schwester Stefan, machten einmal mehr beste Werbung in eigener Sache und liessen, genau gleich wie Brainstorm, nicht nur die Musik, sondern auch den Spass für sich sprechen.
Setliste: «Memento Vitae (Intro)» - «Resurrection Day» - «Let Them Rest In Peace» - «Great Old Ones» - «My Way» - «A New Land» - «Sent By The Devil» - «Empty Hollow» - «Black In Mind» - «To Live And To Die» - «From The Cradle To The Grave» - «Don't Fear The Winter» - «Straight To Hell» - «Higher Than The Sky»