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09. November 2022, Zürich-Oerlikon - Halle 622
By Rockslave
Nachdem sich Mastermind Steven Wilson in den letzten Jahren vor allem als Produzent von Opeth, Orphaned Land, Fish, Anja Garbarek und durch seine Remixes von diversen Alben bekannter Szene-Grössen wie King Crimson, Jethro Tull, XTC und Yes (um mal die mengenmässig relevanten zu nennen) sowie einigen Solo-Alben im Gespräch gehalten hat, gaben die Fans von Porcupine Tree derweil die Hoffnung nie auf, dass diese schon fast kultisch verehrte Band eines Tages wieder zurückkehrt. Und siehe da, respektive ziemlich unerwartet schlug die Nachricht von neuen Band-Aktivitäten im Herbst 2021, nachdem sich Social Media anfangs des Jahres regte, wie eine Bombe ein! Umgehend wurde danach spekuliert, ob die Welt nach dem letzten Studio-Album «The Incident» von 2009 auch endlich wieder neue Songs zu Gehör kriegt. Nach einigen Monaten der (Un-) Geduld und abgekauten Fingernägeln war es dann heuer am 24. Juni endlich soweit: «Closure/Continuation» verzückte die Prog-Nerds in ungeahnter Weise und bescherte der britischen Prog-Institution, zumindest in Europa, die besten Chart-Entries ever! Deutschland und die Schweiz glänzten mit dem Thron, während die Heimat immerhin mit Platz #2 aufwartete und Österreich das erfreuliche Bild mit Platz #4 abrundete.
Porcupine Tree
Was sich viele Fans noch nicht so lange her kaum vorstellen konnten, war schliesslich tatsächlich kein Hirngespinst, und mit dem neuen Studio-Album kam dann gleichzeitig die heiss diskutierte Frage auf, ob die Band danach, sprich damit auch auf Tour gehen würde. Das Line-up des Studio-Werks «Closure/Continuation» fand sich freilich auf der Bühne nicht ganz wieder (Bassist Colin Edwin ist nicht mehr mit von der Partie, und dessen Parts wurden von Wilson eingespielt) und besteht demnach aus Steven Wilson (Lead Vocals, Guitars), Richard Barbieri (Keyboards, Synthesizer), Gavin Harrison (Drums) und den beiden Live-Guests Randy McStine (Guitar) und Nate Navarro (Bass). Für Puristen kommt diese Konstellation einer halben Katastrophe gleich oder sorgte zumindest teilweise für eine gewisse Enttäuschung, aber dies sollte sich bald als völlig unbegründet heraus stellen.
Die Wahl der Halle 622 in Oerlikon mit einem Fassungsvermögen von maximal 3'500 Fans zeigte sich goldrichtig, denn die dem Vernehmen nach etwa hundert Tickets an der Abendkasse gingen mit Sicherheit noch weg, und so täuschte auch der optische Eindruck von wegen "sold out" nicht. Dazu kam noch eine Besonderheit, die zur Aura der Band und seinen Anhängern passt, denn aufgehängte Plakate kündeten an, dass dies ein von gezückten Smartphones befreiter Konzertabend sei, und wer sich nicht daran halte, der Halle verwiesen werden kann! Was in der heutigen Zeit ja eigentlich kaum bis gar nicht mehr einrichten lässt, wurde, um es vorweg zu nehmen, zu 99 % eingehalten. Das bescherte natürlich eine an Konzerten mittlerweile selten gewordene Atmosphäre in der Halle, die vor allem etwas ältere Besucher in eine nostalgische Stimmung versetzte. Ganz zu schweigen davon, wie sich das optisch von der Tribüne aus, respektive von oben herab, präsentierte. Anstatt also tausender "anderer Lichter" kam die Light-Show der Bühne voll zur Geltung und die primäre Aufmerksamkeit galt der dargebotenen Musik. Und davon gab es an diesem Abend mehr als genug, obwohl keine Support-Band mit dabei war.
Angekündigt war eine rund dreistündige Show mit einer Pause von etwa zwanzig Minuten zwischen dem ersten und zweiten Set. Wenn die Protagonisten das wirklich brauchen, ist ja soweit nichts dagegen einzuwenden, aber mir persönlich reisst da jeweils der Spannungsbogen wie Stimmungsfaden. Vor allem dann, wenn, wie heute Abend, das neue Album insgesamt, wenn auch nicht der Reihe nach, gleich durchgespielt wurde. Dabei lag das Song-Verhältnis zwischen dem ersten und zweiten Set hierzu bei fünf zu zwei. Letztlich war es aber einfach cool, alle "neuen Songs", die das Kern-Trio Wilson/Barbieri/Harrison während über zehn Jahren und unbemerkt von der Öffentlichkeit geschrieben hat, gleich in den Live-Versionen geniessen zu können. Der Opener «Blackest Eyes» stammte allerdings vom bisher bestverkauften Album «In Absentia» (2002) und liess die Halle zu Beginn gleich erzittern. Unmittelbar danach konnte man gleich in den melodischen Kosmos von Porcupine Tree eintauchen, bevor einen das harte Hauptriff wieder durchschüttelte. Somit ein idealer Einstieg und die perfekte Überleitung zu «Harridan», dem Album-Opener von «Closure/Continuation».
Der pumpende Bass von Nate trug den Rhythmus unentwegt vor sich her und wurde vom filigranen Drumspiel von Gavin gestützt. Der 8-Minüter lieferte in der Folge genau den Stoff zwischen lieblich melodisch leise und eruptiv ausbrechend. Das Fest für die Prog-Nerds war angerichtet und begleitet von einer fett wie variabel eingesetzten Lightshow sowie diversen Einspielungen auf der monströsen Videoleinwand frass das Publikum der ultratight aufspielenden Band bald aus der Hand. Steven, der barfuss unterwegs war, machte zwischendurch noch kurze Ansagen und liess sonst nur die Musik sprechen. Ich selber musste mir dabei schon bald eingestehen, dass ich diese Kult-Mucke in den letzten Jahren in meinen vier Wänden unverständlicherweise nicht habe stattfinden lassen. Dieser durch und durch wunderbare Prog-Event vermochte das, sprich mein Feuer trotz dem Unterbruch in zweifacher Hinsicht wieder zu entfachen und hinterliess insgesamt nur glückliche Gesichter.
Der einzige Wermutstropfen aus Sicht des, respektive der anwesenden Rezensenten bestand darin, dass keine Fotos aus dem Foto-Pit vor der Bühne erlaubt waren. Wohl dem also, der ein fettes Tele-Objektiv auf der hinteren Tribüne mit den Sitzplätzen mit dabei hatte. Zu dieser Kategorie gehört meine Ausrüstung leider nicht, aber mit meinem 55-250 mm "Röhrchen" liessen sich dennoch einige ganz stimmige Bilder einfangen, die allerdings nur dann verwendet werden durften, nachdem diese vom Management genehmigt und freigegeben wurden. Darüber kann man sich sicher seine berechtigten Gedanken machen, aber letztlich wurde man mit einem unfassbar geilen Konzert entschädigt und konnte sich ausserdem glücklich schätzen, überhaupt zu der bloss Handvoll von Akkreditierten gehört zu haben!
Setliste (Set 1): «Intro: Even Less/Stupid Dream» - «Blackest Eyes» - «Harridan» - «Of The New Day» - «Rats Return» - «Even Less» - «Drown With Me» - «Dignity» - «The Sound Of Muzak» - «Last Chance To Evacuate Planet Earth Before It Is Recycled» - «Chimera's Wreck»
Setliste (Set 2): «Intro: Fear Of A Blank Planet/Sentimental» - «Fear Of A Blank Planet» - «Buying New Soul» - «Walk The Plank» - «Herd Culling» - «Anesthetize» - «I Drive The Hearse» - «Sleep Together» -- «Collapse The Light Into Earth» - «Halo» - «Trains»