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19. April 2023, Zürich – Komplex 457
By Tinu
Obwohl Overkill seit ihrem Album "Ironbound" (2010) auch auf Tonträger wieder zurück zu alter Stärke gefunden haben, steckt die wahre Kraft der Band schon immer auf der Bühne. Dort fühlt sich das US-amerikanische Quintett zu Hause und entfaltet dort seine ganze Macht und Erhabenheit. Aus diesem Grund freute ich mich sehr auf ein Wiedersehen mit Sänger Bobby "Blitz" Ellsworth, Bassist D.D. Verni, den beiden Gitarristen Dave Linsk und Derek Tailer und Schlagzeuger Jason Bittner. Aber auch darauf Heathen, eine meiner weiteren Lieblingsbands, zu sehen, die ebenfalls im Line-up vertreten waren. Beim Blick auf die Setliste fiel auf, dass sich Overkill erneut auf ihre Tugenden und die besten Zeiten ihrer 43-jährigen Karriere besannen. So wurden Songs zwischen 1985 und 2000 sowie zwischen 2010 und der Gegenwart gespielt. Obwohl das Jahrzehnt zwischen 2000 und 2010 immer wieder gute Tonträger von Overkill hervor gebracht hatte, waren es die Zeiten davor und danach, die die Band mit ihrer killenden Art präsentierten. Blitz und seine Truppe hatten mit Heathen eine Band im Gepäck, die meiner Meinung nach völlig unterbewertet ist, genauso wie Forbidden, Sacred Reich und Flotsam And Jetsam. Dazu gesellten sich Exhorder aus New Orleans, die den groovigen Thrash Metal, der später durch Pantera bekannt wurde, mitbegründeten. Doch oh Wunder, mit Keops stand gar eine vierte Band auf dem Billing!
Keops
Der Opener des Konzertabends wurde damit konfrontiert, vor einem fast leeren Komplex aufspielen zu müssen, da der Beginn auf 18:30 Uhr festgesetzt wurde. Doch das schien die Kroaten eher zu motivieren, denn das Quintett bot einen mehr als gelungenen Auftritt, mit dem es garantiert neue Fans dazu gewann. Die bangende Meute auf der Bühne konnte mit feinem Metal auf sich aufmerksam machen und liess das Ganze immer wieder mit thrashigen Momenten aufblühen. Ob es nun der Bassist Zoran, Sänger Zvonimir oder die beiden Gitarristen Bruno und Branimir waren, sie alle kämpften am Bühnenrand um die Gunst der Fans. Das beflügelte sogar einen Besucher, eine "Wall of Death" anzuzetteln, bis dieser jedoch merkte, dass er mit seiner Idee ziemlich allein im Komplex dastand. Das Songmaterial der Herren war beeindruckend. Keops bremsten sich jedoch selbst aus, als sie den Megadeth Hit «Symphony Of Destruction» spielten und natürlich nicht an die Kraft des Originals heran kamen.
Heathen
Mit Sänger David White und seinem Trupp stand dann eine völlig andere Band auf der Bühne, sprich eine, die sich auf ihr sensationelles Songmaterial verlassen konnte, welches aber leider der bekannten Sound-Situation im Komplex zum Opfer fiel. Man kann nun darüber philosophieren, dass ich am falschen Ort gestanden hätte, aber der Grund, weshalb einige Fans sich dieses Konzert nicht ansehen wollten (Soundqualität im Komplex), schien zumindest hier seine Wirkung zu zeigen. Die filigran gespielte Mucke der Amerikaner muss anders zur Geltung kommen, und dies passierte an diesem Abend leider nicht. Das hielt die Jungs freilich aber nicht davon ab, eine grandiose Show zu bieten, und man sah es ihnen an, dass sie den Auftritt genossen. "Es ist eine Ehre, in der Schweiz zu sein", liess Mister White die Anwesenden wissen. Er war ein unglaubliches Kraftbündel an diesem Abend, liess seinen beiden Gitarristen aber immer wieder genügend Platz, damit sie ihre Magie zu versprühen vermochten. Das Publikum erwachte je länger, je mehr und bejubelte die Amis aus San Francisco. "Ich habe Freunde, die sagen, dass die Leute in der Schweiz die lautesten der Welt sind!?" Mit solchen Ansagen kann man nur gewinnen, und die Anwesenden dankten es Heathen mit lautem Geschrei. Mit dem Sweet-Cover «Set Me Free» und dem, laut Aussage von David, besten Heathen-Song «Hypnotized» wurde ein grandioser Gig beendet. Von einer Band, die aus meiner Sicht nach nach wie vor nicht die Aufmerksamkeit abkriegt, geschweige denn den Erfolg für sich beanspruchen kann, der längst verdient wäre.
Setliste: «Intro – This Rotting Sphere» - «The Blight» - «Opiate Of The Masses» - «Dying Season» - «Goblin's Blade» - «Sun In My Hand» - «Set Me Free (Sweet Cover)» - «Hypnotized»
Exhorder
Die dritte Combo an diesem Abend war für mich für mich, neben Keops, die grosse Unbekannte. Klar wusste ich zum Vorneherein, dass die Jungs durch ihr Album «Slaughter In The Vatican» aus den 1990er Jahren einen gewissen Kultstatus erlangt hatten und ein wenig Vorreiter für das waren, was Pantera danach zu einer grossen Band werden liess. Der Slayer-ähnliche Sound, der mit vielen Punk-Elementen und groovigen Parts ausgestattet ist, konnte die Stimmung im Komplex nochmals steigern. Die aggressive Vorgehensweise des Quartetts zeigte Wirkung. Besonders Trommler Sasha Horn konnte mit seinem wilden und knüppelharten Spiel überzeugen und war immer wieder ein Blickfang. Kyle Thomas führte derweil agil durch die Show, war ein überzeugender Frontmann und hatte mit Jason Vierbrooks einen kuscheligen Bären an seiner Seite, dem man aber besser nicht zu nahe kommen wollte. Es war die pure Rohheit, die sich stark von den filigranen und ausgeklügelten Songs von Heathen unterschied und alles niedertrampelte, was sich im Weg befand. Den Fans schien das Ganze aber sichtlich zu gefallen, und trieb die eh schon gute Stimmung noch weiter an, sodass sich Overkill auf eine bestens aufgewärmte Meute einstellen konnten.
Overkill
"Zürich, wie gehts?", wollte Blitz in reinem Deutsch zunächst von den Anwesenden wissen. Liess man die Reaktion der Fans darauf für sich sprechen, dann verdammt gut. Der Shouter ist noch immer einer der Besten seines Fachs, schreit wie kreischt sich durch das Set und peitscht die Menge, die vor ihm steht, unaufhörlich auf. Bobby ist ein Vollblutmusiker und einer, der sein Ego nicht in den Vordergrund stellen muss, sondern seinen Mitmusikern genügend Platz einräumt. So trieb auch D.D. die Fans mit seinem Gang-artigen "Hey! Hey! Hey!" fortwährend an, oder es war Derek, der das Publikum anstachelte. Anstachelte? Was Mister Tailor mit seiner Gestik, Mimik und Körpersprache aufführte und dann seine Plektren ins Publikum warf, war einfach unglaublich. Sah es zunächst so aus, als wollte er in die Menge springen, um seinem "Feind" die Nase zu brechen, so lächelte er im nächsten Moment und genoss diesen augenscheinlich. Daneben haute er die harten Riffs in die Location hinein, tanzte auf der Bühne zu seinen knallharten Parts und duellierte sich mit Dave an der Gitarre. Mister Linsk ist in meinen Augen ein völlig unterbewerteter Gitarrist. Während er die brutalsten Riffs aus seinen Saiten haut, spielt er im nächsten Augenblick einen feinen Part, der einem eine fette Gänsehaut besorgt oder soliert wie ein Irrer. Die grosse musikalische Antriebsfeder ist jedoch eindeutig Mister Verni. Den Groove, den Druck und die Erhabenheit, die D.D. aus seinen dicken Saiten pumpt, sucht seinesgleichen. Wie auch das Drumming von Jason, der auf den Punkt genau spielt und seinen Vorderleuten mit einer unglaublich gespielten Doublebass Drum einen Rhythmusteppich hinzaubert, auf dem diese davonfliegen können. Overkill strahlen eine unbändig starke Macht auf der Bühne aus, und das seit bereits sehr langer Zeit.
Die Band kann sich auf einen Fundus an geilen Songs verlassen, so dass jedes Konzert wieder zu einem einmaligen Erlebnis wird. Der Opener «Scorched» bewies, dass sich das neue Album nicht hinter den alten Klassikern oder seinen fünf Vorgängern verstecken muss. Im Gegenteil, denn mit dem neuesten Output gehen Overkill ein paar Schritte zurück zu ihrer Frühphase. Mit «Bring Me The Night», dem grandiosen und abwechslungsreichen «Electric Rattlesnake» und dem unsterblichen «Hello From The Gutter» punkteten die Jungs weiter. Der grinsende und bestens aufgelegte Bobby genoss jeden Moment auf der Bühne(und hat sich noch immer nicht von seinem Schnauz gelöst! Ganz grosses Kino waren die Tracks, welche die Herren schon lange nicht mehr im Set hatten, wie «Powersurge», das zähflüssige «Horrorscope», «Long Time Dyin'» und den entstaubten wie killermässigen ersten Teil der "Overkill" Saga. Die Band trumpfte hierbei ganz gross auf. Daneben waren es auch die unabdingbar zur Setliste gehörenden Nummern «Ironbound», «Mean, Green, Killing Machine» und «Rotten To The Core», welche auch diesen Abend mit (fast) unsterblichen Vibes bestückten. Fast…, denn…, ja…, der liebe Sound eben…, einmal mehr! Bobby hat allerdings nichts von seinem Charisma eingebüsst, und auch wenn die Haare grauer werden, hat der 64-jährige Shouter noch immer mehr Hummeln im Arsch, als so mancher Jungspund. Und er singt, wie schon angetönt, wie ein kleiner Gott. Die neuen Tracks «Scorched», «Wicked Place» (was für ein grossartiger Killer!) und «The Surgeon» knallt ohne Ende!) passten bestens zu den alten Klassikern und konnten das Level problemlos halten. Es bildeten sich sogar kleine Moshpits, die Haare der Fans flogen und die Stimmung war verdammt gut.
"Are you still here? I can't fucking hear you meine Freunde!" fragte Bobby mit einem breiten und frechen Grinsen auf den Lippen. Er liess seine beachtlichen Deutschkenntnisse immer wieder bei seinen Ansprachen einfliessen und konnte so zusätzliche Pluspunkte für sich und die Band verbuchen. Nach wie vor untermalte der Sänger die Songs mit seinen bekannten Gesten und artikulierte wild auf der Bühne. Fantastisch war auch der akustische und ruhigere Part bei «Ironbound», bei dem D.D. das Publikum zum Mitklatschen animierte. Bobby kündigte den Track mit "…together forever Ironbound" an. Mit dem Rausschmeisser «EI-Limination» («Elimination») konnte Jason schliesslich nochmals beweisen, was für ein begnadeter Schlagzeuger er ist. Was für eine Dynamik, was für eine Energie und was für eine Tightness! Der Zugabenblock bestand aus «Overkill», einer Nummer, die die Truppe eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr gespielt hatte, dem unsterblichen «Rotten To The Core» und dem traditionsgemässen «Fuck You». Die logische Frage von Bobby "…we don't care what you say…" wurde mit einem lauten "FUCK YOU!" des Publikums beantwortet und natürlich mit dem gestreckten Mittelfinger. Der unangefochtene Headliner kam, sah und bewies erneut, dass er noch immer eine verdammt starke Macht darstellt (ja, ich wiederhole mich dabei gerne!) - Wer mit einer derart authentischen Performance, so viel Power und Rohheit auftritt, dabei aber das Filigrane und "Stille" nicht ausser Acht lässt, respektive mir, wie immer, einen mächtigen Arschtritt versetzt, der gehört auch nach 43 Jahren ohne jegliche Zweifel auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Da können sich viele andere Thrash Metal Bands oder speziell eine unablässig abgefeierte Truppe, die sich aktuell der Menschheit in einem neuen, gelben Cover präsentiert hat, eine dicke Scheibe davon abschneiden. Aber eben, das Leben und speziell das Musikbusiness war und ist oft selten gerecht.
Setliste: «Scorched» - «Bring Me The Night» - «Electric Rattlesnake» - «Hello From The Gutter» - «Powersurge» - «Wicked Place» - «Coma» - «Horrorscope» - «Long Time Dyin'» - «The Surgeon» - «Mean, Green, Killing Machine» - «Ironbound» - «Elimination» -- «Overkill» - «Rotten To The Core» - «Fuck You (The Subhumans Cover)»