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02. Dezember 2023, Zürich - Hallenstadion
By Tinu
Es war kalt und der Schnee hatte Zürich richtig fett zugedeckt, als Rockslave und meine Wenigkeit im Hallenstadion ankamen, um gemeinsam mit 13'500 Besuchern den 60. Geburtstag von Steve Lee (05.08.1963 – 05.10.2010) zu feiern. Es sollte ein spezieller Event werden, bei dem in meinen Augen aber nicht nur Grund zum Feiern war (dazu später mehr). Die Augen und die Ohren waren grundsätzlich nur auf den ehemaligen, charismatischen Frontmann von Gotthard gerichtet, der am 05. Oktober 2010 auf tragische Art und Weise unverschuldet ums Leben gekommen ist. Dass Steve einer der besten und ausdrucksvollsten Stimmen im Hard Rock Bereich besass, stellte er an diesem Samstagabend nochmals unter Beweis. Während in der Schweiz alle diesem Konzert entgegen fieberten, lag New York ganz in den Händen von KISS, die an diesem Abend ihr letztes Konzert spielten und somit ihre beispielslose Karriere nach über einem halben Jahrhundert beendeten.
Als sich das Hallenlicht verdunkelte, machten sich nicht nur die Mädels (von denen es sehr viele gab, die sich wieder einmal in ihre Rocker-Gala-Kluften zwängten und Schampus schlürften) im Golden Circle bemerkbar. Das Intro kam in Form von Queens «The Show Must Go On» ab Band und trug nach dem Tod von Steve schon fast etwas Autobiographisches für Gotthard. Die Bühne wurde in ein tiefes Blau getaucht, als Sänger Nic Maeder unter grossem Beifall die Bühne betrat. Der Schweiz-Australier hat seine Deutschkenntnisse spürbar verbessert und liess das Publikum wissen, dass es ihm eine Ehre sei, heute Abend mit seinen Jungs für die Anwesenden aufzutreten und das Erbe von Steve zu feiern. Zu den Klängen von «All We Are» stiegen Schlagzeuger Flavio Mezzodi, Bassist Marc Lynn, die beiden Gitarristen Leo Leoni und Freddy Scherer, zusammen mit sogar zwei Organisten, in die kommenden, knapp zweieinhalb Stunden ein.
Auf den grossen Video-Screens war sogleich das Bild von Mister Lee zu sehen, der für einen Grossteil der anstehenden Spielzeit die Lead-Vocals übernahm. Gotthard schnitten dazu einfach bestehende Live-Aufnahmen zum Set und überliessen den Lead-Gesang ihrem verstorbenen Shouter, der logischerweise brillierte, die Fans nach Belieben mit Schalk in den Augen diktierte und von der Leinwand grüsste. Bei «Top Of The World» wurden Papierschlangen in die Menschenmasse geschleudert, die sich zuerst noch ein bisschen aufwärmen musste, um auf Betriebs-Temperatur zu kommen, respektive das Hallenstadion in einen kleinen Hexenkessel zu verwandeln. Nic, der bei «Hush» die ersten Strophen singen durfte, wurde mittlerweile zu einem Gitarre spielenden Background-Sänger umgewandelt.
Auch wenn er bei der ersten Zugabe («Remember It’s Me») mit seinem Gesang glänzte und nur von Piano begleitet eine Gänsehaut-Nummer zum Besten gab, war nach dem ersten Refrain für den aktuellen Sänger von Gotthard schon wieder Schicht im Schacht und die Show gehörte Steve. Was blieb Nic auch anderes übrig, als am Bühnenrand die Fans zum Mitklatschen wie Mitsingen zu animieren und dies mit einem breiten (hoffentlich nicht gespielten) sowie zufriedenen Grinsen zu untermauern?! Es war die Show von Steve, und zwar eine, bei der sich Leo wieder von seiner rockigen Seite zeigen konnte, denn das Set rockte ganz gewaltig. Dies auch dank Power-Trommler Flavio, der mächtig auf sein Arbeits-Instrument eindrosch. Gewohnt cool und mit fetten Bass-Grooves stand Marc auf der Bühne, während zu seiner linken Seite einmal mehr sein China Partner Freddy für weitere tolle Leads und Riffs sorgte.
Ganz grosses Kino waren Lieder wie «Dream On», «Said & Done», «The Other Side Of Me» oder «In The Name», das einmal mehr in der ruhigen Version gespielt wurde. Oder die Ansagen, beziehungsweise der kleine Versprecher von Leo, als er zum Publikum sprach und meinte: "Alle 30'000, also alle 13'500 halten jetzt ihre Smartphones in die Höhe, machen das Licht an und dann ergeben sich 30’000". Gesagt, fast getan, und die Zürcher Kult-Konzert-Stätte erstrahlte im Lichtermeer, heisst begleitete Steve bei «One Life, One Soul», einer Ballade, die noch heute unter die Haut geht. Grüsse bekannter Bands durften ebenso nicht fehlen, und so sah man die Scorpions, die Worte ans Publikum richteten, wie auch Joey Tempest (Europe), der nochmals Revue passieren liess, wie sich Steve vor der Show mit klassischen Parts aufwärmte, als Gotthard und Europe gemeinsam auf Tour waren. Auch Beni "National" Turnheer verkündete, dass er Steve nie vergessen werde und der emotionale Level stieg in Zürich langsam, aber sicher an.
Mit «Firedance» und mächtigen Pyro-Stichflammen wurde gerockt, als gäbe es kein Morgen mehr. Mit einem kleinen solistischen Ausflug präsentierte sich der nie stillstehende Leo. Marc gab mit einem Lächeln zu Protokoll, dass er der ganzen Crew dankte, dass dieser Event nach über einem Jahr Arbeit möglich gemacht worden sei und man in den Video-Sequenzen einen kurzhaarigen Mann sah, bei dem es sich um ihn handelte. Ein Lächeln konnte sich der Bassist dabei nicht verklemmen und meinte: "Auch wir werden nicht jünger." Mit «Lift U Up» ging das Hallenstadion steil und verwandelte sich in ein tanzende und singende Menschenmasse, wo der Spassfaktor kein Halten mehr kannte. Am Schluss von «Anytime Anywhere» wurde kurz noch «Eye Of The Tiger» angespielt, währenddem sich ein Schottischer Clan mit Dudelsäcken auf der Bühne breit machte.
Nach Nics «Remember It's Me» wurde der Sänger von den Anwesenden zu Recht lautstark abgefeiert. Mit Pippi in den Augen sah man seine Dankbarkeit. Nach diesem kleinen Auftritt bedankte sich Leo unter Tränen bei seinem alten Sänger und überreichte das Mikrofon an Ur-Manager Chris von Rohr. Dieser war sichtlich gerührt von den Festlichkeiten und leitete zum grössten Hit der Band über. «Heaven» wurde dabei zur grossen Freude des Fans mit Ur-Trommler Hena Habegger gespielt. Auf den Video-Screens sah man viele weinende Fans in den ersten Reihen, die durch und mit «Heaven» "ihrem Steve" nochmals nahe waren und ihm die Ehre erwiesen. Hier und jetzt hätte man grundsätzlich den Schlusspunkt setzen sollen, denn emotional gesehen war das Hallenstadion auf dem absoluten Höhepunkt, wenn nicht sogar Siedepunkt angekommen. Allerdings griffen Gotthard nochmals in die Saiten und verabschiedeten sich mit «Quinn, The Eskimo» von ihrem Publikum.
Es war letztlich ein grossartiger Festakt mit dem absolut im Mittelpunkt stehenden Steve Lee. Insbesondere auch, weil man als Abspann das Video mit Jon Lord (Deep Purple) ausstrahlte, bei dem Steve meisterlich «Child In Time» sang. Auch wenn ich der Band für diesen Event (m)einen überaus grossen Dank ausspreche und die Emotionen im Hallenstadion für den verlorenen Sohn und grossartigen Sänger überschwappten, blieb bei mir ein fader Beigeschmack haften. Seien wir ehrlich…, echter Rock'n'Roll lebt doch von einer lebendigen Performance. Dass ABBA und KISS sich nun auch als Avatare dem Publikum präsentieren, hat nicht mehr viel mit dem Ursprung des Rocks zu tun. Würden Gotthard ohne diese "Steve Lee Produktion" das Hallenstadion dennoch füllen? Und was wäre, wenn sich die Jungs dazu entscheiden, mit dieser Produktion auf Tour zu gehen?
Wie sieht es dabei im Innern von Mister Maeder aus, der sicherlich einen (zumindest etwas gespielt) fröhlichen Eindruck hinterliess?! Ganz ehrlich, Nic tat mir an der Stelle sehr leid, denn er hatte sich damals getraut, das Erbe von Steve anzutreten, und das war gar nicht einfach! Wird es ihm nun damit gedankt? Klar, Gedanken, die sich wohl kaum einer der Anwesenden an diesem Samstagabend gemacht haben wird. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass dieses Konzert etwas Einmaliges bleibt und man nun Nic die Plattform bietet, die er sich in den letzten Jahren hart erarbeitet hat. Steve ist und bleibt einmalig, aber wenn schon «The Show Must Go On», dann bitte auch mit den zur Verfügung stehenden, noch lebenden Musikern. Denn es gab und gibt auch ein Leben nach Steve, und das war beileibe nicht schlecht, sondern logischerweise einfach anders. Ich erinnere deshalb erneut an «Remember It's Me», wo Nic wirklich zur absoluten Höchstform auflief.
Setliste: «Intro - The Show Must Go On (Queen)» - «All We Are» - «Dream On» - «Hush (Joe South Cover)» - «Mountain Mama» - «Let It Be» - «Top Of The World» - «I Wonder» - «Said & Done» - «One Life One Soul» - «Nothing Left At All» - «Sister Moon» - «The Other Side Of Me» - «Firedance» - «Drum-Battle (Flavio Mezzodi / Flavio Mezzodi & Steve Lee)» - «Homerun» - «In The Name» - «Lift U Up», «Anytime Anywhere» -- «Remember It's Me» - «Heaven» - «Quinn The Eskimo (The Mighty Quinn) (Bob Dylan Cover)»