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13. November 2024, Dübendorf - The Hall
By Roger W. - All Pics by Rockslave
"Bei Dream Theater Konzerten hat man keinen Spass – man geniesst sie!" Das war meine spontane Reaktion, als mir meine Frau vor der Abfahrt nach Dübendorf viel Spass wünschte. Und mit dieser unüberlegten Bemerkung sollte ich Recht behalten. In der The Hall, wo ziemlich genau einen Monat zuvor Powerwolf und HammerFall für ausgelassene Stimmung gesorgt hatten, war die Atmosphäre bei den amerikanischen Prog-Meistern komplett anders. Hier zählten keine Witze und viele Oho-Publikums-Chöre, sondern schwelgerische Melodien, hart und präzise gespielte Riffs, stilistische Vielfalt, Heavy Metal, Rock, kurzzeitig sogar Boogie Woogie und vor allem musikalische Brillanz. Trotzdem gab es an diesem Abend genügend Grund zum Feiern. Da wäre einerseits die Rückkehr von Gründungs-Mitglied und Schlagzeuger Mike Portnoy nach dreizehn Jahren Abwesenheit, anderseits aber auch den 40. Geburtstag der Band. Wobei genau genommen eigentlich "nur" 32 Jahre gefeiert wurden, denn vom Debüt-Album «When Dreams And Day Unite» wurde, trotz fast dreistündiger Spielzeit, kein einziges Lied gespielt.
Es entzieht sich allerdings meines Wissens, wie alt die Grund-Strukturen der Lieder des legendären Zweitwerks «Images and Words» von 1992 sind. Eine Vorband gab es an diesem Abend nicht. Gut so, denn so blieb einerseits mehr Zeit für Dream Theater, die bekannt sind für teilweise sehr lange Nummern. Andererseits ist ist die Anzahl Bands sehr beschränkt, die den Prog-Göttern das Wasser reichen können und somit eigentlich zum Scheitern verurteilt sind, wagen sie es, vor Dream Theater zu spielen. Die Bühne präsentierte sich vor dem Konzert zunächst noch vermeintlich schlicht. Zumindest wenn man es mit anderen Tourneen der letzten Jahre vergleicht. Als dann aber der Vorhang zum Intro mit einer eindrücklichen Licht- und Lasershow "zum Leben" erweckt wurde, merkte man den Sinn dahinter. «Metropolis Pt. 1: The Miracle And The Sleeper» vom bereits erwähnten Zweitwerk setzte danach bereits ein erstes Ausrufezeichen. Wobei der Sound zuerst noch etwas dürftig war und besonders Sänger James LaBrie über sehr viel Hall auf seiner Stimme verfügte.
Das wurde zum Glück schnell besser. Was folgte, war ein geschmackvoller Querschnitt durch das Schaffen von Dream Theater. Schön auch, dass es auch einzelne Lieder aus der Phase ins Set geschafft hatten, in der Mike Portnoy nicht Teil der Band war. Immerhin schwächelte die Band auch mit Alben wie «A Dramatic Turn Of Events», «Dream Theater», «Distance Over Time» und «A View From The Top Of The World» nicht, während das Doppelwerk «The Astonishing» zumindest für mich umstritten bleibt. Ich merkte wieder einmal, wie viel mir ein Track wie «This Is The Life» von «A Dramatic Turn Of Events» textlich und musikalisch bedeutet. Da hatte ich Gänsehaut und konnte mein Glück fast nicht fassen, dieses Stück live zu hören. Natürlich wurde Mike Portnoy zwischendurch gebührlich willkommen geheissen und von den Fans beklatscht. Nichts gegen seinen Nachfolger und Vorgänger Mike Mangini, aber nur mit Portnoy klingen Dream Theater nach sich selbst. Und das schreibt eine Person, die eigentlich kaum bewusst auf das Schlagzeug hört - auch nicht bei Dream Theater. Doch hier klingt die Band mit dem Gründungs-Mitglied einfach anders als ohne.
Es spricht zudem für ihn, dass er sich an diesem Abend nicht mit einem Schlagzeug-Solo in den Vordergrund drängte, während Keyboarder Jordan Rudess und Gitarrist John Petrucci sich in Intros und Solo-Teilen verwirklichen konnten. Gerade wegen diesen hoffe ich, dass es von dieser Tour eine offizielle und in gewohnt hoher Qualität aufgenommene Live-CD geben wird. Aber zurück zur Setliste: Diese wurde bestückt mit selten gespielten Liedern wie «Hollow Years» vom 1997er Werk «Falling Into Infinity», das doch öfters mal gehörte «As I Am» von «Train Of Throught» von 2003 und dem brandneuen «Night Terror», das einen Vorgeschmack auf das im Februar erscheinende Studiowerk gab. Damit bildeten Dream Theater eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft. Für mich etwas rätselhaft war allerdings, dass sie von «Metropolis Pt. 2: Scenes From A Memory» gleich vier Stücke spielten. Ich liebe dieses Konzeptwerk, und insbesondere das ebenfalls vorgetragene sowie viel Hoffnung spendende «The Spirit Carries On» gehört mitunter zum Besten, was die Amis je komponiert haben.
Doch dieses Album wurde bereits auf der vorletzten Tour komplett durchgespielt. Dass aber alle anderen Alben zu diesem 40. Geburtstag nur mit maximal zwei Liedern geehrt wurden, unterstreicht die Bedeutung von «Metropolis Pt. 2» für Dream Theater. Fragt man alte Fans, bedeutet ihnen das Zweitwerk aber meist mehr. Vielleicht hatte aber auch Mike Portnoy schlicht grosse Lust auf dieses Album. Schade ist jedoch, dass dadurch andere Studio-Werke gar nicht zum Zuge kamen. Als weiteren Kritikpunkt aus meiner Sicht ist es zu werten, dass die fast drei Stunden mit dem Klassiker «Pull Me Under» endeten. Klar ist das ein Hit. Für mich ist der perfekte Schluss eines Dream Theater Konzertes aber ein episches, ausuferndes wie langes Epos. Und solche hat die Truppe doch etliche geschrieben. Dazu zählt auch «Octavarium» vom gleichnamigen Album. Mit seinen fast 25 Minuten beendete es den zweiten Teil, bevor noch ein Zugabeteil folgte. Es ist ein Song, den ich durch dieses Konzert für mich definitiv wieder entdeckt habe.
Das ist das Schöne an Dream Theater Konzerten. Informiert man sich zuvor nicht, was auf vorangegangenen Tourneen gespielt wurde (die Setlisten sind da meist zu 100 Prozent gleich), weiss man nie, was einem genau erwartet. Denn Dream Theater bleiben diesbezüglich unberechenbar. Sie verfügen über einen riesigen Fundus an genialem Material, das es wert ist, live gespielt zu werden. Und da macht zum Glück auch ihr Publikum mit. James LaBrie wurde in Dübendorf denn auch nicht müde, mehrmals auf den nächsten Auftritt der Prog-Meister in der Schweiz aufmerksam zu machen. Dieser findet am 28. Juni 2025 am "Summerside Festival" in Grenchen statt. Da wird man zwar kaum wieder drei Stunden spielen, aber trotzdem mehr zum Träumen einladen, denn zum Partymachen. Für Letzteres gibt es ja genügend andere Bands. Dieser Auftritt von Dream Theater in Dübendorf wird jedenfalls vielen Fans einmal mehr noch lange in bester Erinnerung bleiben. Die Amerikaner dürfen sehr gerne bald wieder kommen!
Setliste: «Metropolis Pt. 1: The Miracle And The Sleeper» - «Act I: Scene Two: I. Overture 1928» - «Act I: Scene Two: II. Strange Déjà Vu» - «The Mirror» - «Panic Attack» - «Barstool Warrior» - «Hollow Years» - «Constant Motion» - «As I Am» - «Night Terror» - «Under A Glass Moon» - «This Is The Life» - «Vacant» - «Stream Of Consciousness» - «Octavarium» -- «Act II: Scene Six: Home» - «Act II: Scene Eight: The Spirit Carries On» - «Pull Me Under»