Swiss Hard Rock and Heavy Metal Magazine since 1999
You can reach us via email or phone.
+41 (0) 79 638-1021
"...Wenn wir mit einem todernsten Cover daher kommen würden, dann wäre es nicht mehr Tankard..."
Was kommt euch bei Tankard als Erstes in den Sinn? Die Fans des runden Leders werden Eintracht Frankfurt schreiben. Für den hessischen Verein haben die Jungs die Hymne «Schwarz-Weiss wie Schnee» geschrieben, die soeben als modernifiziertere Version nochmals veröffentlicht wurde. Die Musikfans werden eher an die Comic-artigen Covers denken, coolen Thrash Metal, Bier und lustige Texte, bei denen sich die Truppe nicht immer selbst ernst nimmt. Dazu gesellen sich aber auch, und das wird oftmals völlig vergessen, kritische Töne in die Texte dazu. Was die beim neuen Album «Pavlov's Dawgs» (die Bezeichnung "Pawlowsche" bezieht sich dabei auf das erste empirische Experiment des russischen Forschers und Nobelpreisträgers für Medizin, Iwan Petrowitsch Pawlow, zum Nachweis der klassischen Konditionierung) zu suchen haben, erklärt uns Sänger Gerre, der zum Zeitpunkt des Interviews an einem Hexenschuss herum laborierte (gute Besserung nochmals!). Aber nicht nur dies sollte zur Sprache kommen, sondern auch das 40-Jährige der Truppe von Gerre (Gesang), Andy (Gitarre), Frank (Bass) und Olaf (Drums).
Gerre: Hörst du mich? Tja…, ein Kind der Achtziger und Technik, das ist immer so eine Sache (grinst).
MF: Wieso hat es dieses Mal länger gedauert, bis das neue Album erschienen ist und ihr den Zweijahres-Rhythmus unterbrochen habt?
Gerre: Es war geplant, dass wir 2020 etwas Neues heraus bringen. Im Herbst 2019 merkten wir jedoch, dass wir nur eineinhalb Songs hatten und wir den Plan fallen lassen mussten. Darum liessen wir uns ein bisschen mehr Zeit. Zu Beginn von 2020 legte Corona los, und alles wurde abgesagt. Wir schlossen uns deshalb kurz und entschieden: "Die aktuelle Situation nehmen wir uns zum Anlass, dass wir einen kurzen Break machen". Erst letztes Jahr gings mit dem Songwriting weiter, und darum hat es dieses Mal ein bisschen länger gedauert. Man wird auch nicht jünger (grinst). Ein neue Platte ist immer ein Riesenkraftakt. Dieser Zwei- oder Dreijahres-Rhythmus war nie irgendwo in Stein gemeisselt.
MF: Habt ihr euch dieses Mal beim Songwriting mehr Zeit genommen als sonst?
Gerre: Nein, das war wie immer. Wir wussten, wann der Termin im Studio anstand. Dabei bricht bei uns immer der Zeitdruck und die Panik aus (lacht), aber nur so können wir arbeiten. Da hat sich nicht so viel geändert. Wir haben uns dieses Mal sehr viel Zeit bei der Soundfindung genommen. Da haben wir lange daran herum geschraubt. Frank wollte einen anderen Bass-Sound. Jo…, aber ich denke, dass wir insgesamt alles ganz gut hingekriegt haben. Jetzt warten wir mal ab, wie die Reaktionen der Magazine und insbesondere die der Fans sind.
MF: Was hat sich für dich sonst noch verändert zu den anderen Scheiben hin?
Gerre: Das Songwriting Prozedere war wie immer. Ich kriege die Gitarrenparts und schaue, was ich an Gesang drauf basteln kann. Dann treffen wir uns bei Andy, der ein kleines Studio zu Hause hat. Da nehmen wir auf und entscheiden, was brauchbar ist. So entstehen die Tracks. Da hat sich nicht sooo viel geändert. Im Studio haben wir ein bisschen mehr Zeit für die Vocals verwendet. Mit den Schreien, der klaren Stimme, tief oder hoch, da haben wir echt tausend Dinge ausprobiert. Das war ein bisschen arbeitsintensiver als sonst. Zumindest für mich (grinst).
MF: Wer hatte die Idee zum Cover, das erneut richtig geil geworden ist?
Gerre: Die Idee hat eigentlich immer unser sensationeller Manager Buffo. Der kam auch mit dem Album-Titel ums Eck. Das steht bei Tankard in der Regel immer als Erstes fest (lacht). Das Cover nimmt Bezug auf den Album-Titel «Pavlov's Dawgs», die "Pawlowschen Hunde". Es ist ein typisches Tankard Comic-Cover. Wenn wir mit einem todernsten Cover daher kommen würden, dann wäre es nicht mehr Tankard (grinst).
MF: Gilt der Track «Ex-Fluencer» als klarer Seitenhieb gegen die Influencer?
Gerre: Genau! Das ist ein kritischer Song, insbesondere über junge Menschen, die sich darin komplett verlieren und in einer total anderen Welt leben. «Ex-Fluencer» daher, weil am Ende des Liedes der weibliche Protagonist wieder aus dieser Scheinwelt heraus findet. Wir sind alle abhängig von den neuen sozialen Medien. Wir sprechen gerade zusammen über Skype, und ich erwische mich immer wieder dabei…, es fällt auch mir schwer, ab und zu das Handy auf die Seite zu legen (grinst). Den ganzen Tag bimmelt es, aber es gibt Menschen, die nur für ihre Klicks leben, das ist die kritische Auseinandersetzung damit.
MF: Ist «Beerbarians» hingegen ein Song über euch selbst?
Gerre: Nein, das ist ein Tankard typischer Titel, drückt aber einen ernsteren Hintergrund aus. Da geht es um die Bierbrauereine, die bahnbrechend für andere technische Errungenschaften standen. Da bildeten wir ein Wortspiel daraus. Das ist aber kein Text über uns.
"...Tankard bestehen nun seit vierzig Jahren. Wer hätte das damals gedacht, dass wir dieses Jubiläum einmal feiern können?..."
MF: «On The Day I Die», ein Text, bei dem ihr euch darüber Gedanken macht, wenn ihr mal abtreten solltet?
Gerre: Das war witzig, die Text Idee kam mir…, für den ersten langsamen Part kreierte ich Melody-Lines. Dazu sang ich «On The Day I Die» vor mich her. Daraus entstand die Idee zu diesem Track. Da wachst du morgens auf, und es wird dir mitgeteilt, dass du noch 24 Stunden zu leben hast. Wem musst du jetzt noch deine Liebe gestehen (lacht), und was musst du noch erledigen, was du schon immer wolltest? Tankard bestehen nun seit vierzig Jahren. Wer hätte das damals gedacht, dass wir dieses Jubiläum einmal feiern können? Da kann man auf der einen Seite stolz sein, dass man als Band so lange durchgehalten hat, auf der anderen Seite sehe ich das persönlich auch mit grosser Demut, heisst man muss dankbar sein, dass die Fans uns so lange unterstützt haben und wir so die Möglichkeit kriegten, in der halben Welt herum zu reisen. Das war Halbzeit, und nun kommen die nächsten vierzig Jahre (lacht).
MF: Wen nehmt ihr mit «Metal Cash Machine» auf die Schippe?
Gerre: Da geht es um das Merchandising. Die grösseren Bands, nicht unbedingt im Rock-Bereich, die ihr eigenes Parfum veröffentlichen und im Endeffekt mit solchen Dingen mehr Geld verdienen als mit den Tonträgern. Das Thema haben wir ziemlich durch den Kakao gezogen (grinst).
MF: Hast du das Gefühl, dass die Musikbranche und somit auch der Thrash Metal nichts anderes als eine Geldmaschine ist?
Gerre: Ja…, klar…, Geld hängt in jedem Business mit drin. Rein nüchtern oder wirtschaftlich betrachtet lohnt es sich für eine Truppe wie Tankard nicht mehr, Platten zu veröffentlichen. Man verkauft nicht mehr viele Tonträger, und trotzdem kommt man relativ schnell in die Charts, da die Metal-Fans noch immer konservativ und treu sind. Rein wirtschaftlich gesehen macht es keinen Sinn mehr. Es war bei uns wieder ein Riesenkraftakt, und hinterher ist man doch froh, wenn man das Ergebnis in der Hand hält (grinst).
MF: Was ist für euch die Antriebsfeder, noch ein neues Album zu komponieren?
Gerre: Wir hatten das Angebot von Flori zu Reaper Records zu wechseln. Er war früher als Promoter bei Nuclear Blast unterwegs. Wir haben bei ihnen höflich angefragt, ob wir aus dem Vertrag heraus kommen. NB wurde zum grossen Teil verkauft und von den Leuten von früher ist kaum mehr einer dabei. Wenn man einen solchen Schritt wagt, dann braucht es vertrauensvolle Menschen um einen herum. Mit einer neuen Platte ist man wieder im Gespräch, und es hat sich zum 40-Jährigen passend ergeben. Flori hat eine super Arbeit gemacht, wir kommunizieren viel, tauschen uns zu einigen Idee aus, und es macht gerade wieder richtig Spass.
"...kannst nichts anderes machen, ausser Pizza bestellen und deine Heavy Metal Sammlung von A bis Z anhören..."
MF: «Lockdown Forever», was wollt ihr uns damit mitteilen?
Gerre: Das ist ein ziemlich witziger Track. Stell dir vor, es existiert ein so krasses Virus, dass du für immer und ewig zu Hause bleiben musst. In deinen eigenen vier Wänden sitzt, und du kannst nichts anderes machen, ausser Pizza bestellen und deine Heavy Metal Sammlung von A bis Z anhören (grinst). Eine witzige Aufarbeitung des Corona-Virus (lacht). Da gibt es einen Video-Clip dazu.
MF: Liest man sich eure Texte aufmerksam durch, war da immer sozialkritische Lyrik mit dabei. Die wurde sicherlich mit viel Humor versehen, regte aber auch zum Nachdenken an. Denkst du, dass die Fans sich die Zeit noch nehmen, um Texte durchzulesen und sich Gedanken darüber zu machen?
Gerre: Ich glaube schon, dass es einige Menschen gibt, die sich damit beschäftigen und sich die Platten genauer anschauen. Es muss doch auch der eigene Anspruch sein. Wir lassen «Zombie Attack» aussen vor (lacht). Diese Texte wurden geschrieben, da waren wir fünfzehn oder sechzehn Jahre jung (lacht) und schauten uns viele Horrorfilme an (lacht). Unser Anspruch war aber immer eine gute Mischung aus lustigen, aber auch ernsten Themen hinzukriegen. Leute, die Tankard nicht so genau kennen, reduzieren uns immer auf dieses Bier-Image. Da haben wir selbst auch ziemlich viel dazu beigetragen (grinst), unter anderem mit «Chemical Invasion» (1987) und «The Morning After» (1988). In den Neunzigern versuchten wir von diesen Themen weg zu kommen, und das hat natürlich überhaupt nicht funktioniert (lacht). Heutzutage sehen wir das mittlerweile alles mit einem Augenzwinkern. Viele fragen: "Ihr habt auf der neuen Platte auch ernste Texte, das ist ja völlig neu bei euch!" Nein, das ist seit «Chemical Invasion» an der Tagesordnung. Es macht live ebenso Spass einen Song zu spielen, der einen ernsteren Background hat.
MF: Gibt es ein Lied, das dir besonders am Herzen liegt oder das für dich heraussticht?
Gerre: Es gibt ein paar wie «Ex-Fluencer», «Lockdown Forever»…, aber mein absoluter Lieblings-Track war von Anfang an und ist noch immer «On The Day I Die».
MF: Du hast es vorhin selbst erwähnt, vierzig Jahre Tankard. Nach vier Dekaden in diesem Business, welches Fazit ziehst du daraus?
Gerre: Wir hatten ungeheures Glück, dass wir die Möglichkeit bekamen Platten aufzunehmen, und dass die Fans uns über all die Jahre immer supportet haben. Dass wir durch die Weltgeschichte reisen können, und es gab ziemlich viele geile Sachen die wir erlebt haben, wie Südamerika oder Pokal-Endspiele. Klar hätten man gewisse Dinge anders machen können. Die Haupterrungenschaft war…, als Mitte bis Ende Neunziger der Metal und insbesondere Thrash Metal nicht gerade tot, aber null angesagt war, wir die Flinte nicht ins Korn geworfen haben, sondern die Zähne zusammen bissen, weiter gemacht und pro Jahr drei Shows gespielt haben…, das hat sich letztendlich ausbezahlt. Das ist eine Mischung, wie ich es vorhin gesagt habe, aus Stolz, dass man so lange dabei ist und natürlich auch aus Demut und Dankbarkeit.
MF: Denkst du es war ein Vorteil, dass ihr in den 80er-Jahren gestartet habt und nicht erst heute, weil es bedeutend schwerer sein würde?
Gerre: Ja, ich glaube schon, dass es Bands von heute schwieriger haben als wir damals. In den Achtzigern war es einfacher, einen Plattenvertrag an Land zu ziehen. Das waren ganz andere Zeiten. Würde ich so hypothetisch behaupten (grinst).
"...das ist noch immer mein persönlicher Ansporn und Traum. Da gibt es noch ein paar Flecken auf der Landkarte, die fehlen..."
MF: Konntest du all deine Wünsche, Hoffnungen, Erwartungen und Ziele mit der Band erfüllen?
Gerre: Wie gesagt, wir haben schon ziemlich viele geile Dinge gemacht. Dabei veröffentlichten wir achtzehn Scheiben, das ist sensationell! Aber es gibt noch immer ein paar Orte auf diesem Planeten, wo wir noch nicht aufgetreten sind. Länder zu bereisen, wo wir noch nie gespielt haben, das ist noch immer mein persönlicher Ansporn und Traum. Da gibt es noch ein paar Flecken auf der Landkarte, die fehlen (grinst).
MF: Die da wären?
Gerre: Zum Beispiel Indien, Afrika, Kanada…, solche Geschichten würde ich gerne noch machen.
MF: Ist Erfolg heute für dich etwas anderes als in den Achtzigern?
Gerre: Man sieht viele Dinge, wenn man älter wird, aus einem anderen Blickwinkel und gelassener. Ich ärgere mich heute nicht mehr über eine schlechte Kritik wie noch mit anfangs zwanzig, wenn man das als "Erfolg" bezeichnen kann. Man wird gelassener und ruhiger.
MF: Was ist für dich das Erfolgsgeheimnis, dass ihr seit 1998 in der gleichen Besetzung aufspielt?
Gerre: Wir verstehen uns alle gut, und sind wir zusammen, fühlt sich das wie ein kleiner Familienausflug an. Es ist nicht üblich, dass eine solche Konstellation so lange anhält. Klar gibt es immer wieder Reibereien. Das findet sich in jeder guten Ehe und muss auch so sein. Das hält einen am Leben. Eine richtige Erfolgs-Formel kann ich dir nicht nennen. Wir treffen uns nicht zweimal pro Woche und streicheln uns die Haare (lacht). Bei Tankard hat jeder seinen regulären Job, und wir sind somit kein Unternehmen, sprich dass dabei alle von der Musik leben müssen. Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite bist du frei und unabhängig, kannst tun und lassen, was du willst, das ist super. Gerade auch in den letzten drei Jahren. Stelle ich mir vor, wir hätten von der Musik gelebt, wäre das bitter gewesen. Auf der anderen Seite kannst du nicht alles spielen, was dir angeboten wird. Das ist die Schattenseite und ein bisschen doof. Aber es ist auch sehr schwierig momentan. Einige Tourneen werden für den Herbst abgesagt. Die Vorverkäufe für die Gigs sind mehr als schleppend. Die Leute sind vorsichtiger geworden. Jeder hat noch Konzertkarten zu Hause, bei dem der Gig schon fünfmal verschoben wurde. Es ist gerade alles sehr schwierig, und es kann natürlich auch sein, dass es im Herbst wieder losgeht und die Kunst als Erstes dicht gemacht wird. Ich kann dies sehr schlecht einschätzen.
MF: Was wir alle nicht hoffen, darum danke für das Gespräch, und alles Gute für die Zukunft!
Gerre: Ich danke dir für deinen jahrelangen Support. Pass auf dich auf mein Lieber.