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"...Ich habe mich vorher nicht wirklich mit Metal beschäftigt und in dieser Zeit habe ich dann angefangen, einiges von Slipknot zu hören..."
Es wird einem schon etwas flau im Magen, wenn man die Zusage für ein Interview mit Slipknot erhält. Zwar nicht das Aushängeschild Corey Taylor soll der Partner sein, aber «V-man», und darauf bereitet man sich akribisch vor. Pünktlich, bereits am Ort des Geschehens erfährst du dann, dass «V-man» mit Bauchschmerzen in der Koje liegt und an dessen Stelle der eher unbekannte «Tortilla Man», Perkussionist Michael Pfaff tritt. Erstmal Schockzustand – doch dieser legte sich spätestens, als "Mike" wie ein alter Klassenkamerad in den mobilen Interview-Raum stürmte, mich freudig umarmte und mir mitteilte, dass er total nervös sei, weil er heute, mit mir, sein allererstes Interview für Slipknot führen dürfe. Er setzte sich hin, zupfte ständig an seinem Pullover herum und zappelte auf dem Stuhl hin und her. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, strahlte er wie ein Kind, dem man gerade sein Lieblings-Eis in die Hand gedrückt hatte, als ich auf dem Aufnahme-Gerät "Rec" drückte.
Mike: Hi! Ich bin Mike mit Oliver von Metal Factory…
MF: Hi Mike, schön dass du hier bist. Ich musste kurz umdisponieren…
Mike: ...yeah…, du bist davon ausgegangen, dass du das Interview mit V-man (Alex Venturella) führst, aber ich kenne ihn gut, und du kannst mir auch gerne Fragen zu ihm stellen.
MF: Nein, gar kein Problem! Jetzt bist du hier, und wir reden über dich. Du bist seit 2019 Perkussionist bei Slipknot. Wie bist du an diese Position gekommen?
Mike: Das ist eine lange Geschichte, aber ich versuche sie kurz zu erzählen (lacht). Ich lernte Shawn (Crahan/Perkussion, Begleitgesang) den Clown 2006 kennen. Ich hatte gerade die Schule in Boston beendet und zog zurück nach Iowa, da mir die Kohle ausging. Als ich zurück war, habe ich erst in diversen Jazz-Bands gespielt, denn ich bin leidenschaftlicher Jazzer. An der Bar war dann so ein Typ, der Sid (Wilson/DJ) kannte und sich dachte, dass wir zusammen jammen könnten. Sid war cool drauf und gab mir sogleich den Spitznamen «Freakshow». Sid und ich haben gerade instrumentale Musik gemacht, als er plötzlich, so um Mitternacht glaube ich mich zu erinnern, Shawn anrief. Dieser ist eher der häusliche Typ, so mit Familie und Haus und Garten…, weisst du wie ich meine?
Als Sid ihn anrief und einlud zu uns zu kommen, soll angeblich sogar seine Frau gesagt haben, dass er mal seinen Arsch bewegen soll (lacht). Er kam, und wir hingen also bei Sid und seinen Freunden herum, alles so Turntable-Rocker, die irgendwie Lärm produzieren, aber keine Harmonien hinbekommen haben. Sid hatte so ein altes Drum-Teil rumstehen, und ich begann einfach darauf zu spielen. Schliesslich setzte auch Shawn der Clown mit ein, und wir veranstalteten ein mehr als 60-minütiges Konzert. Als ich um circa drei Uhr morgens nach Hause kam, dachte ich nicht im Geringsten daran, dass daraus mehr werden könnte, obwohl ich genau wusste, dass Slipknot in Iowa ihre Homebase haben. Etwa eine Stunde später bekam ich eine Nachricht vom Clown, dass wir eine Band gründen sollten. Da er ziemlich beschäftigt war mit Slipknot, trafen wir uns immer in der Zwischenzeit bei ihm zu Hause, um Songs zu schreiben. Dies taten wir dann für eine ziemlich lange Zeit.
MF: Hast du also erst in dieser Phase die Musik von Slipknot kennen gelernt?
Mike: Ja genau! Ich habe mich vorher nicht wirklich mit Metal beschäftigt, und in dieser Zeit habe ich dann angefangen, mir einiges von Slipknot anzuhören und ihre Musik-Videos anzuschauen. Mit unserer eigenen Band ging es aber nicht wirklich voran, da Shawn bei Slipknot zu sehr eingespannt war. Für mich war das sehr enttäuschend, da es mir sehr wichtig war, mit Shawn Musik zu machen. Der wichtigste Teil dieser Geschichte ist aber zu wissen, wie es geendet hat. Wenn nämlich eine Band auseinander geht oder eine Freundschaft zerbricht, dann kannst du entweder denken: "F**k dich Mann! Es ist alles deine Schuld!" oder du kannst das Beste daraus machen.
Ich bin nicht so ein Mensch, und ich wollte auch die Freundschaft mit Shawn nicht ruinieren, deshalb akzeptierte ich die Tatsache, dass unsere Band ihr Ende fand. Erst 2017 meldete sich Shawn wieder bei mir und erzählte, dass sein Sohn Simon ein toller Drummer sei, ich mein Keyboard einpacken, rüber kommen und eine Runde mit ihnen jammen solle. Bei dem Treffen stellte er dann fest, dass ich mittlerweile auch gereift war, eine Frau und Kind habe und die ganzen doofen Dinge, die man in jungen Jahren ebenso macht, hinter mir liess. Ich habe wirklich aufgeräumt in meinem Leben und habe auch einen geregelten Job angenommen.
Du kennst vielleicht diese Dinger, in die man reinpusten kann, bevor man mit dem Auto losfährt, um den Alkoholwert im Blut zu messen. Ein Selbsttest sozusagen, der dir anzeigt, ob du noch fahren darfst oder nicht. Die habe ich gemacht. Dann eines Tages im April kam ein Anruf von Slipknots Manager, der mir sagte, dass Shawn Crahan am Apparat sei und er mich sprechen müsse. Dass wir ab und zu texteten war nichts Ungewöhnliches, aber dass ein Zwischenmann anruft, war doch eher schräg. Schräg war auch das Gespräch, denn Shawn labberte mich dermassen zu, dass ich am Schluss nicht wusste, was er eigentlich von mir wollte (lacht). Sorry Mann, ich weiss, dass ich ziemlich wirr erzähle, aber es ist wie gesagt das erste Mal, dass ich ein Interview gebe und mit dir fühle ich mich einfach wohl (lacht).
Ich hatte übrigens auch zwei Verwarnungen wegen Cannabis und wusste deshalb nicht, ob ich zwar für die Band vorgesehen war, die aber deswegen nichts mit mir zu tun haben wollten. Ich ging jedenfalls an diesem Donnerstag frustriert nach Hause, am Freitag wieder zur Arbeit und dachte mir, dass dies nun die Strafe für etwas war, das ich mit 26 Jahren verbrochen hatte. Ich hörte weder Samstag noch Sonntag etwas, erst in der Nacht auch Montag rief mich der Manager von Slipknot wieder an und teilte mir mit, dass der Flieger am Dienstag abheben würde, um mit den Jungs zu jammen.
"...Ich war absolut kein Spezialist, sondern hörte mir alles an, abgesehen von Metal..."
MF: Wow! Eine Botschaft aus dem nichts. Wie du dich entschieden hast, wissen wir ja grundsätzlich. Was hat diese Nachricht bei dir ausgelöst?
Mike: Ich habe aufgehängt und bin erstmal in Panik geraten! Ich war ein Jazzer und hatte Ahnung von Klassik. Ich mochte weder Heavy Metal noch Slipknot. Ich war absolut kein Spezialist, sondern hörte alles, abgesehen von Metal. Ich rauche eigentlich nicht aber da habe ich Kette geraucht! Ich habe mir alle Slipknot-Alben heruntergeladen. Das waren an die 86 Songs, die ich rauf- und runtergehört und dazu getrommelt habe. Ich habe Slipknot geträumt, Mann! Ich habe mir Videos und Live-Auftritte angesehen und geschaut, was Chris (Fehn, Perkussion) so macht. Dann am Montagnachmittag sendete ihr Manager mir die Setliste der letzten Tour, damit ich mich vorbereiten könne. Ich konnte nicht mehr schlafen und fällte eine schwerwiegende Entscheidung. Ich rief meinen Chef an und teilte ihm mit, dass ich am Dienstag nicht mehr zur Arbeit erscheinen werde. Es war ziemlich gewagt, denn ich hatte Frau und Kind. Klingt vielleicht nicht so spektakulär, wie bei anderen, die den Weg in eine Rockband gefunden haben aber ich denke, dass der «Clown» im Hintergrund gewirkt hatte, denn er wusste, was die Band bekommt, wenn sie mir eine Chance geben.
MF: Wie kommst du mittlerweile mit Metal zurecht?
Mike: (lacht) Nun, ich habe mich damit angefreundet! Wenn du beim Jazz loslegst, dann klatschen die Leute dezent und sagen vielleicht Sachen wie „toll“. Wenn du aber Metal spielst, dann ist da diese Wand aus unbändiger Energie! Sie kommt aus dem Bauch heraus und das Publikum brüllt und schreit und du merkst mit jeder Faser deines Körpers, dass der Crowd gefällt, was du da produzierst. Das ist vermutlich der grösste Unterschied zur Klassik oder Jazzmusik. Die Energie der Musik ist schlicht grossartig. Auch die Jungs sind grossartig. Sie wissen, dass ich viele Konzerte in diversen Bands gespielt, ich mich ebenfalls raufgearbeitet habe und auch ein Iowa-Junge bin.
MF: Waren eine dieser Bands (mit Shawn Crahan) die Dirty Little Rabbits?
Mike: Yeah man, du weisst Bescheid. Die Band mit der ich am längsten mit Shawn gejammt habe, waren Dirty Little Rabbits.
MF: Welche Art von Musik war das denn?
Mike: Nun, das war…, ich würde sagen so eine Art Pop. Es waren Pop-Songs auf denen Shawn Crahan Trommel gespielt hat. Kannst du dir darunter etwas vorstellen (lacht)? Irgendwie war es heavy, aber dennoch harmonisch, wie es sich für einen typischen Pop-Song gehört. Weisst du, wir waren nicht bekannt oder so und vermutlich hat man als Slipknot-Fan auch noch nie von uns gehört, denn es ist effektiv nicht dasselbe. Aber es war mir egal und ist mir auch heute noch egal, denn selbst heute noch, wenn ich schlechte Laune habe, dann kann ich mir zum Beispiel einen Phil Collins Song anhören, und es geht mir sofort besser… (beginnt zu singen) "she calls out to the man on the street…", verstehst du?
Das ist der verdammte Phil Collins. Andererseits habe ich auch den Metal schätzen gelernt, denn wenn du die Arbeit einmal richtig scheisse findest und dich alles ankotzt, dann bringt dich dieses (singt erneut) "If you're 555, then I'm 666…" wieder völlig auf den Boden der Realität zurück. Viele Personen aus der Metalszene haben mir über die Jahre gesagt, dass sie sogar einige Strophen von Corey (Taylor) auswendig gelernt haben. An die können sie sich dann halten, wenn es wieder mal schwieriger ist im Leben. Diese Kraft, die vom Metal ausgeht, ist zwar nicht neu, war mir so aber unbekannt.
"...Wir finden es cool, aber es kann gut sein, dass sich einige wieder fragen, was denn hier abgeht..."
MF: Du hast vorhin kurz erwähnt, dass du auch Keyboard spielst. Eure neue EP «Adderall» wurde erst gestern veröffentlicht. Fans würden spontan sagen: „das sind nicht Slipknot!“ Ist das dein poppiger Einfluss?
Mike: Yeah man, ich würde sagen, dass auch hier Shawn den grössten Einfluss ausübte. Es ist eine Art musikalischer Paintbrush, der uns geleitet hat. Es ist also nicht so, dass ich in den Proberaum kam und sagte: "Hey Leute, jetzt machen wir einmal etwas anderes!" (lacht). Das ist das Tolle an Slipknot. Wenn alle neun Typen mitmischen, dann kommt plötzlich etwas ganz anderes dabei heraus. Aber ja, die EP ist speziell. Shawn hat im Song «Adderall» dieses wirre Intro (imitiert mit dem Mund so eine Art Didgeridoo), dann hat der Bass seine Spur darüber gelegt.
Corey und der Clown haben Stunden getüftelt, bis Corey dann einfach ein paar Zeilen eingesungen hat. Wir finden es cool, aber es kann gut sein, dass sich einige wieder fragen, was denn hier abgeht. Das ist aber einfach auch Slipknot, denn wir haben uns noch nie an Normen gehalten. Ich mag mittlerweile das harte Zeug. Wenn Shawn fragt, was ich denn für Slipknot machen möchte, dann sagte ich immer: "lass uns etwas tun, das "heavy as fuck" ist!“ Das tun wir dann meistens auch (lacht). Manchmal, wenn gerade Pause von der Band angesagt ist, macht jeder sein eigenes Ding. Da kann es bei der Rückkehr oft vorkommen, dass einige wieder neue Ideen mitbringen.
Ich würde aber die meisten Songs doch Shawn Crahan zuschreiben – "a piece of Shawn". Die EP zeigt aber sicher eine neue Seite von Slipknot, und das wollten wir auch erreichen. Gerade die sanften Piano-Parts sind sicher schwer einzuordnen, aber weisst du, neben 74 Bangern sollte auch Platz für anderes sein. Ich versuche es immer so zu sehen: vielleicht verlieren wir dadurch keine Fans, sondern gewinnen neue dazu. «Adderall» ist für all die, die den inneren Schweinehund, der sagt: "du Arschloch, wie kannst du dir nur diese Art von Musik anhören?" überwinden wollen. Sei ein Snob, spiel «Adderall» ab und sag deinem Schweinehund "f**k dich!". Ich mache das auch.
MF: Wenn ihr neue Songs für Slipknot schreibt, sind da alle neun involviert?
Mike: Eigentlich schon. Vielleicht nicht alle zur gleichen Zeit, aber jeder aus der Band geht auf seine Weise an die Songs heran und steuert seinen Teil dazu bei. Für mich ist es immer wieder grossartig zu hören, dass manchmal der letzte, der neunte Teil genau der ist, der dem Song das gewisse Etwas verleiht oder ihn nochmals total verändert. «Adderall» war auch einfach so wie er war, bis Sid mit einem kleinen Piano daher kam und Verschiedenes dazu ausprobierte.
Dabei entstand dieses Synthie-Ding, das nun den eigentlichen Song ausmacht. Es ist nun wie die Glitzerbombe am Geburtstagsfest. Ein Highlight, das nur Sid so hinbekommt. Egal ob schräg oder cool, Sid ist für alles zu haben. Aber um das hier noch abzuschliessen…, natürlich haben die Gitarren, die Drums und die Vocals den grössten Einfluss auf den Sound von Slipknot. Sozusagen die ersten fünf, aber um das Ganze abzurunden braucht es alle - alle neun!
MF: OK… (wir werden exakt nach 19 Minuten und 51 Sekunden vom Slipknot Privat-Security Hünen Alex unterbrochen, der uns daran erinnert, dass unsere Zeit abgelaufen ist).
Mike: Hey mein Erster, lass uns ein gemeinsames Erinnerungs-Foto von diesem Tag machen (und er machte tatsächlich das erste Foto von uns beiden mit seinem Handy…).
MF: Thanks Mike…