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"...Mein Vater sagte: "Mach dir keine Sorgen, sondern das, was dir Spass macht, das Geld kommt von selbst". ..."
Die Scorpions sind länger im Geschäft, als viele Leser sich auf dieser Erdkugel aufhalten. Die Jungs haben Rock-Geschichte geschrieben und mit «Wind Of Change» einen Hit komponiert, den jeder im Schlaf (im wahrsten Sinne des Wortes) mitpfeifen kann. Den Kern der Truppe bilden Gitarrist Rudolf Schenker und Sänger Klaus Meine, die seit 1979 zusammen mit Leadgitarrist Matthias Jabs am Musizieren sind.
Sie haben alles erlebt. Die musikalische Revolution in den siebziger Jahren (gegründet wurden die Scorpions 1965!), die grosse Arenen-Zeit in den Staaten, die ersten Konzerte in Russland, als sich noch niemand dorthin wagte, gigantische Festivals, wie das "Moscow Music Peace Festival" (1989) und das US-Festival 1983 in San Bernardino sowie diverse Welthits, ohne die heute ein Konzert von ihnen nicht möglich ist. Oder der "Rock Pop in Concert" Event, welcher 1983 in der Dortmunder Westfallenhalle ausgetragen und im Januar 1984 im ZDF ausgestrahlt wurde. Der definitive Startschuss für den grossen Erfolg von Rock- und Metal-Bands in Europa. Es war aber auch immer die Freundschaft, welche die Truppe getragen hat. So wie 1981, als Leadsänger Klaus bei den Aufnahmen zu «Blackout» seine Stimme verlor und die Truppe nicht sicher war, ob ihr Shouter jemals wieder ans Mikrofon zurück kehren würde.
Selbst die Grunge-Phase zwang die Hannoveraner nicht in die Knie. Der Skorpion zeigte allen seinen spitzigen wie giftigen Stachel und blieb somit unantastbar. Neben ihren Hits waren es auch die unglaublichen Konzerte, die neben einer wilden Bühnenshow auf der «Savage Amusement» Tour eine Lichttraverse in Form einer Flying-V Gitarre mitführten, die sich knapp über die Köpfe der Besucher senken liess und die Musiker, darauf stehend, noch näher zu ihren Fans gelangten. Noch heute, mit über siebzig Jahren, sehen Klaus und Rudolf jugendlich aus, beweisen der Welt, dass sie noch immer rocken können und der Album-Titel des neuen Werkes «Rock Believer» mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist. Wie es zur neuen Scheibe kam und ob die Scorpions tatsächlich die "Rock Believers" sind, lässt uns nun Rudolf wissen. Alleine mit der aktuellen Besetzung, sprich Klaus, Rudolf, Matthias, Pawel Maciwoda (Bass, seit 2003) und Mikkey Dee (Schlagzeug, ehemals Motörhead, Kind Diamond, seit 2016) gehören die Scorpions noch immer zu den heissesten Rock-Truppen, welcher dieser Planet zu bieten hat.
MF: Klaus hat im letzten Interview erwähnt, dass das neue Album in Richtung «Lovedrive» und «Animal Magnetism» gehen soll. Ich denke, das ist euch sehr gut gelungen, oder?!
Rudolf: Da kannst du noch ein bisschen weiter, sprich bis «Blackout» zurück gehen. Die aktuelle Zeit bietet Herausforderungen (grinst). Zu allererst die Pandemie. Dann eine Form von Selbstfindung zu finden, um aus dieser Pandemie heraus zu treten, nachdem es uns nicht möglich war, gewisse Dinge umzusetzen. Bedeutet, dass der Produzent nicht zu uns, beziehungsweise wir nicht zu ihm nach Amerika fliegen konnten. Aus Not macht man bekanntlich eine Tugend. Wir arbeiteten mit den besten Produzenten der Welt zusammen, wieso sollen wir es nicht selber probieren? Insbesondere dass wir mit dem "Peppermint Park" in Hannover über ein hervorragendes Studio verfügen. Einen Teil meines Studios habe ich noch zusätzlich zur Verfügung gestellt, damit wir die benötigte Anzahl an Kanälen hatten, die wir für das Aufnehmen brauchten. So gingen wir in die Details und stellten fest, dass wir kein Limit hatten, heisst normalerweise wären wir nach Amerika geflogen und hätten in Los Angeles die Scheibe aufgenommen. Danach wären wir in Las Vegas aufgetreten und nebenbei die Overdubs angegangen, alles timingmässig.
Hier in Hannover sagten wir uns: "Statt rum zu hängen, machen wir lieber Musik" (grinst). Dabei stellten wir fest, dass beim Spielen der Songs auffällt, dass einige Teile noch fehlen. Die Stücke haben sich organisch, wie in den damaligen Zeiten, entwickelt. Das war eine hervorragende Arbeitsproduktion, und so konnten wie unserer Kreativität freien Lauf lassen. Ich erhielt die Texte von Klaus, bevor die Tracks geschrieben waren. Dabei floh ich aus der Routine und komponierte die Lieder anhand der Texte (grinst). Das hat unglaublichen Spass gemacht, weil ich die Stories jeweils einarbeiten konnte. Insbesondere deshalb, weil sich die Texte teilweise auf uns oder unsere Lebensumstände bezogen, in die wir in der Vergangenheit rein geschlittert sind (grinst). Das war eine hervorragende Möglichkeit, sich in die Lyrics rein zu denken und daraus die Musik zu gestalten. Das hat mir eine unglaubliche Freude bereitet. Als ich an den Songs arbeitete, war ich gerade in Thailand. Ich rief meinen Tontechniker an und sagte ihm: "Wenn du Zeit hast, da komm sofort hierher, damit wir die Lieder vorproduzieren können"! Die Tracks wurden anschliessend an Pawel geschickt, damit er den Bass einspielen konnte und auch an Mikkey für das Schlagzeug.
Darauf sind alle Mann zusammen ins Studio gegangen, nachdem wir eine Show auf der Asien-Tour nicht spielen konnten. Wir kamen von Australien her und sind für einen Gig in Yogyakarta gelandet. Da sind wir dem Vulkanausbruch knapp entkommen. Danach ging es nach Singapur, und das letzte Konzert in Manila musste abgesagt werden. Ich flog nach Thailand zurück, packte meine Sachen zusammen, dann trafen wir uns alle im "Peppermint Park" und haben richtig losgelegt (grinst zufrieden). Leider konnten weder Pawel noch Mikkey dabei sein, weil die wegen Corona ihren Beschränkungen nachgehen mussten. Aber! Alles hat sich ganz unproblematisch entwickelt. Frei nach dem Motto: "Negative Energie über die Schultern schmeissen und die positive für das Anstehende nutzen", haben wir ein gutes Album hingelegt, das uns, so glaube ich, sehr gut gelungen ist und wie du ja gerade bestätigt hast.
MF: Ja, dem kann ich nur beipflichten. Seid ihr heute in der komfortablen Lage zu komponieren was und wie ihr wollt?
Rudolf: Hat man über die Jahre ein System gefunden, wird das normalerweise immer wieder reproduziert. Dass wir es dieses Mal völlig anders gemacht haben, war eine tolle Idee. Dadurch entstand eine völlig neue Mechanik. Ich durfte feststellen wie schön es ist, zu den Texten Lieder zu komponieren. Klar konnte ich meine Erfahrung nutzen, um diese neue Vorgehensweise umzusetzen. Wir hätten auch sagen können: "Ne, lass uns das wie immer angehen, da kennen wir uns aus". Ich sah dieses Komponieren als Herausforderung an, das mir totale Befriedigung brachte. Die Ideen fielen aus meiner Feder und der Gitarre. Die Voraussetzung war entspannt, und manchmal spielt das Leben Schicksal (grinst). Wenn man nicht starrsinnig sein will und sich einer solchen Möglichkeit stellt, dann hat man den Segen davon.
MF: Wie kam es zum Album-Titel «Rock Believer»?
Rudolf: Ganz einfach, Klaus schrieb den Titel. Irgendwann suchten wir nach einem Album-Titel. Ich sagte nur: "Freunde, den einzigen Album-Titel, den ich mir vorstellen kann, ist «Rock Believer». Wir sind "Rock Believers". Wenn nicht wir, wer denn sonst?“ Seit 1963 bin ich ein "Rock Believer". Viele Leute fragten mich damals, als ich zwanzig Jahre jung war: "Machst du noch immer Musik?" Klar, warum nicht (lacht). "Was willst du denn machen, wenn du dreissig bist?" Man sieht es nun, was ich machen wollte (lacht). Die Menschen, die immer nur auf die Zukunft hin bauen, konnte ich nicht verstehen. Musik war…, als ich mich um einen anständigen Beruf kümmerte, den ich erlernen musste weil meine Mutter dies so wollte, sagte sie: "Pass auf, du kannst machen, was du willst, aber einen vernünftigen Beruf musst zu erlernen!" Mein Vater sagte: "Mach dir keine Sorgen, sondern das, was dir Spass macht, das Geld kommt von selbst".
Für mich war klar, ich will meine Mutter nicht enttäuschen und übte deshalb den Beruf des Starkstrom Elektrikers aus. Danach ging ich los und widmete mich meiner Musik. Das hat sich ausbezahlt. Insofern, dass ich immer Spass hatte. Gute Musiker in der Truppe zu haben war wichtig, aber auch Leute mit denen ich Spass auf Tour haben und eine Freundschaft aufbauen konnte. Damit war eine gute Grundphilosophie geregelt. Klaus ist vom Sternzeichen her Merkur, wie ich. Er ist auf der Sonnen- und ich auf der Schattenseite geboren. Klaus ist Zwilling und ich Jungfrau. Dadurch verstehen wir uns sehr gut. Bei den erfolgreichen Kompositionspartnern wirst du immer wieder feststellen, ob dies nun bei den Beatles, Led Zeppelin oder den Rolling Stones war, dass es immer eine Sonnen- und Schattenseiten Paarung gab. Jimmy Page ist Mond und Robert Plant Sonne, John Lennon war Mond und Paul McCartney ist Sonne. Diese Konstellation hat sich in vielen Bands bewährt. Bei den Stones ist es das Gleiche. Mick Jagger ist Sonne und Keith Richard Mond. Aber, wenn wir auf das neue Album zurück kommen. Es war interessant auf diese Art zu komponieren und ohne Produzenten zu arbeiten. Das waren Erfahrungen, die sehr viel Spass gemacht haben. Jeder Produzent setzt sein Markenzeichen auf das jeweilige Album. Dieses Mal haben wir es selber gemacht, und es funktionierte (grinst zufrieden).
"...So sah man die Scorpions auf den Philippinen, in Thailand, Korea, Taiwan und in Indonesien in grossen Stadien auf die Bühne gehen. So haben wir uns über Wasser gehalten..."
MF: In all den Jahrzehnten in denen du musizierst, hast du jemals den Glauben an den Rock verloren, ich denke da auch an die Grunge-Zeit?!
Rudolf: Nein, auch da hat uns wiederum die Wahrnehmung weiter geholfen. Wir begannen früh in Ländern zu spielen, wo andere nicht aufgetreten sind. Kürzlich las ich ein Interview, ich glaube es war James Hetfield, der auf die Frage, in wie vielen Ländern Metallica schon spielten, antwortete: "Auf jeden Fall nicht in so vielen wie die Scorpions. Wir beobachteten immer wo die Jungs auftraten und versuchten, dort auch einen Gig zu spielen". Wir waren sehr mutig. Dies klappte, weil wir auf eine solide Freundschaft bauen konnten und zu der Zeit das Management selber in den Fingern hatten. Wir kannten die Grundlagen um was es geht, wenn man im Ausland spielt. Jedes Mal haben wir das gut hinbekommen. Wir traten in über achtzig Ländern auf und wollen dem noch ein paar hinzufügen. Das hat immer sehr viel Spass gemacht. Durch diese Inspirationen, gerade in den von dir angesprochenen Grunge- und Alternative-Zeiten, wurde uns ein Punkt ziemlich klar. Wir brauchen uns nicht zu streiten und auseinander zu gehen, sondern treten in den Ländern auf, in denen wir schon gespielt haben und breiten das Ganze aus.
So sah man die Scorpions auf den Philippinen, in Thailand, Korea, Taiwan und in Indonesien in grossen Stadien auf die Bühne gehen. So haben wir uns über Wasser gehalten, bis der Grunge und Alternative ausgestorben waren (grinst). Danach konnten wir die westliche Welt wieder bespielen (lacht). Okay, wir haben die nicht ausgelassen. Wir versuchten nicht krampfhaft mit den Grunge-Bands mithalten zu können, obschon wir mit «Eye II Eye» bewiesen haben, dass wir uns aus unserem Bereich heraus bewegen können. Das taten wir, weil es die Zeit war, in der wir uns sagten: "Okay, wenn wir unsere musikalischen Möglichkeiten nutzen wollen ohne dabei aufzufallen, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt". Später wird der Moment nicht mehr da sein, denn alles geht seinen Kreislauf und kommt wieder zurück, wie mit dem Twist (lacht). So war es auch mit dem Rock. Wir haben die Zeit gut genutzt und in neuen Territorien gespielt oder in Russland noch ein bisschen mehr Fans dazu gewonnen. Wir konnten ihnen zeigen, dass aus Deutschland eine neue Generation kommt, die nicht auf dem Panzer sitzt, sondern mit ihren Gitarren "Love, Peace And Rock'n'Roll" bringt. Das ist eine schöne Geschichte, die wir als Deutsche mit der Grundlage für uns immer gesetzt haben, nämlich die Musik als Vermittler zu nutzen. Von Kontinent zu Kontinent und in verschiedenen Sprachen.
MF: Ihr habt drei riesengrosse Festivals gespielt. Das "Moscow Music Peace Festival", das "US-Festival" und "Rock in Rio". Welches war für dich der bewegendste Moment?
Rudolf: Im Grunde muss ich sagen, weil alle drei so unterschiedlich waren…, alle drei! Das "US-Festival", weil wir aus der Produktion von «Love At First Sting» heraus gerissen wurden und nicht, weil wir nicht wollten. Unsere Agentur kam nach Schweden, als wir in den "ABBA Studios" weilten: "Freunde, passt auf, wir haben da eine riesengrosse Angelegenheit. Es wird ein grosses Festival stattfinden. Drei Tage mit drei verschiedenen Musikrichtungen. Das wäre doch was für euch?" «No One Like You» (vom «Blackout» Album) war 1982 der meistgespielte Song in Amerika und Kanada. So waren wir, zusammen mit Van Halen, die Headliner, eine Double-Headlining Geschichte. Wir dachten uns dafür eine tolle Idee aus. Alle Specials-Effects waren ja verboten, ausser einer Feuerwand die uns gestattet wurde. Neben dieser Feuerwand sollten noch fünf Kampfjets der US Luftwaffe über das Gelände fliegen. Das ist doch der Hammer! Van Halen versuchten dies zu stören (grinst). Dabei wäre unser Tourmanager fast verbrannt worden, weil die Feuerwand zu früh losging, als er uns, am Bühnenrand stehend, ansagte.
Wir gingen auf die Bühne und haben volle Kanne abgeliefert (grinst zufrieden) und Amerika förmlich im Flug besiegt. Danach gingen wir ins Studio und haben «Love At First Sting» nochmals neu aufgenommen. Das war eine historische und wichtige Situation. Das "Moscow Music Peace Festival" war auch eine Wahnsinnssache. Ein Jahr vorher spielten wir in Leningrad schon zehn Konzerte mit jeweils zehn- bis elftausend Leuten, die aus ganz Russland anreisten. Beim "Moscow Music Peace Festival" traten wir nicht als letzte Band auf. Bon Jovi waren zu dem Augenblick in Amerika sehr gross im Rennen. MTV hat das Festival übertragen und sie wollten, dass Bon Jovi als Letzte auf die Stage gehen, was Jon allerdings bereute (grinst). Er wollte danach nie wieder nach den Scorpions auf die Bühne gehen (lautes Lachen), weil wir wirklich eine geile Show boten und alles weggerissen haben. Das war unglaublich (lautes Lachen). Bei diesem Event sahen wir, wie sich die Welt vor unseren Augen veränderte. Dadurch entstand «Wind Of Change».
Der Soundtrack zur grössten "peaceful revolution on earth", wie ich es immer gerne sage (grinst). Das war unglaublich. Das Endresultat war, dass wir als Friedensvertreter bei Michail Gorbatschow in den Kreml eingezogen sind und uns mit ihm neunzig Minuten unterhalten konnten. Das war der Oberhammer, wie auch «Wind Of Change» im Kreml zu spielen. Näher kann man der Geschichte nicht kommen bei einem solchen historischen Moment. "Rock in Rio"..., Südamerika war zu der Zeit immer ein schwieriges Pflaster. KISS versuchten es, aber denen hat man beim Rückflug die Anlage konfisziert. Was zudem nicht so schön war, ist, dass wegen dem "Rock in Rio" viele Bäume durch den Urwald hindurch gefällt wurden, um einen riesengrossen Platz zu errichten. Aber! Sieben Tage Musik in Rio. Wir waren dabei, das war auch ein Oberhammer. Queen, Whitesnake oder Iron Maiden traten da mitunter auf. Es war zudem ein Musikertreffen und hat unglaublichen Spass gemacht. Die Südamerikaner sind ein sehr Rock-begeistertes Volk. Das waren Superlative der Festivalgeschichte mit unterschiedlichen Voraussetzungen.
MF: Wie immer herzlichen Dank fürs Interview, es hat ausserordentlich Spass gemacht.
Rudolf: Danke dir, und du kommst vorbei, wenn wir in Zürich spielen?
MF: Was ist das für eine Frage, auf jeden Fall!
Rudolf (grinsend): Dann kommst du Backstage, und wir nehmen einen Drink zusammen…, okay?
MF: Sehr gerne, bleib gesund und auf bald.
Rudolf: Gleichfalls.