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"...Wir waren damals nonstop unterwegs und haben die Welt musikalisch erobert..."
Es ist im positiven Sinne der Wahnsinn, dass die Scorpions nächstes Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiern! Aktuell sind Klaus Meine (Gesang), Rudolf Schenker (Gitarre), Matthias Jabs (Gitarre), Pawel Maciwoda (Bass) und Mikkey Dee (Schlagzeug) auf der "Love At First Sting 40th Anniversary" Tour und begeistern jeden Abend die Besucher mit den Hits aus dem in den USA mit dreifachem Platin ausgezeichneten Werk. Damals, 1984, wurde die Platte zusammen mit Erfolgsproduzent Dieter Dirks aufgenommen und trug die schwere Bürde, nach dem immensen Erfolg von «Blackout», den ersten gigantischen Erfolgen in den USA und dem Single-Hit «No One Like You» abzuliefern.
Mit Hits wie «Bad Boys Running Wild», «Big City Nights», «Rock You Like A Hurricane» und der Jahrhundertballade «Still Loving You» gelang dem Quintett, bei dem damals noch Francis Buchholz (Bass) und Herman Rarebell (Schlagzeug) mitspielten, der ultimative Durchbruch auf allen wichtigen Märkten. Zeit also, bei Klaus anzuklopfen und mit dem sehr sympathischen Sänger über die Entstehung von «Love At First Sting» zu plaudern und in die damalige wilde Zeit der Deutschen einzutauchen.
MF: «Love At First Sting», es sind 40 Jahre her. Welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?
Klaus: Das war eine sehr intensive Zeit. Wir waren entweder auf Tour oder in den Dirks-Studios. Wir waren damals nonstop unterwegs und haben die Welt musikalisch erobert. Waren wir sechs oder sieben Monate unterwegs, dann hat uns unser Weg danach direkt ins Studio geführt, um ein neues Album aufzunehmen. Es gab keine Pause. Durchatmen, das kannten wir nicht. Es war ein ständiges "on the road" sein. Das war gleichzeitig intensiv, aber auch mit ganz viel Spass verbunden. Amerika damals durch das Tourbus-Fenster zu entdecken und in diesen grossartigen Arenen zu spielen, als Special Guest oder mit unserer eigenen Headliner-Tour, war eine unglaubliche Erfahrung. Nicht zu vergessen diese grossen Events, wie das "US Festival". Da haben wir zusammen mit Van Halen, Judas Priest und Mötley Crüe gespielt. Viele sagen nicht zu Unrecht, dass es die beste Zeit des Hard Rock und Heavy Metal war.
MF: Bei den Aufnahmen zum Vorgänger «Blackout» musstest du pausieren, weil du deine Stimme verloren hattest. Hat dich das bei den Aufnahmen von «Love At First Sting» beeinflusst?
Klaus: Nein, das hat mich überhaupt nicht beeinflusst. Dazwischen lag eine Welt-Tournee. Wenn man die ohne Probleme hinter sich gebracht hat, dann war man bestens gerüstet für das nächste Album. Aber es war eine verdammt harte Zeit damals im Studio, um «Blackout» aufzunehmen. Dieter Dirks war als Produzent einer, der grossen Anteil an unseren Erfolgen hatte. Nichts war ihm gut genug (lacht): "Schreib noch mal einen neuen Text, Klaus. Das kannst du vergessen, setz dich nochmals hin und sing nochmals einen neuen Take." Es war zwei Uhr nachts, wir kamen gerade aus dem Pub, gingen ins Studio und sangen nochmals eine neue Version von «Still Loving You», in dem Bewusstsein, dass es richtig geil wird, nur um am anderen Morgen festzustellen, dass es nicht so war, wie wir uns das gedacht hatten. Zuerst sassen wir im "Polar Studio" in Stockholm. Es war eine interessante Erfahrung, in diesem supergeilen Studio von ABBA.
MF: Welches ist für dich das beste Stück auf dem Album?
Klaus: Sicherlich «Rock You Like A Hurricane», das eine herausragende Nummer geworden ist. Bis heute ist dieser Song der Abschluss jeder Scorpions-Show. Das ist ein echter Klassiker. «Still Loving You» natürlich auch. Aber «Rock You Like A Hurricane» hörst du in Hollywood-Filmen und in Serien auf Netflix. Diese Nummer wird ständig gebucht und bei grossen Sport-Veranstaltungen eingesetzt. Dieser Track hat eine starke Hookline und ist nach wie vor einer unserer Favoriten. Wir starteten die Konzertreise in Las Vegas und hatten uns vorgenommen, das komplette Album vorzutragen. Es ist dann fast so geworden. Da sind einige Tracks dabei, die wir live nie spielten, wie «The Same Thrill». Das ist so ein kleiner, schmutziger Rocker, der live losgeht wie eine Rakete. Wir haben unheimlich viel Spass, diese Nummer zu spielen, die auch bei den Fans sehr gut ankommt. «Crossfire» ist ein Stück, bei dem es vor Jahren eine Klassik-Version gab, zusammen mit den Berliner Philharmonikern. Damals ohne Gesang. Jetzt führen wir diesen Song auf, zusammen mit Mikkey und diesem grandiosen Drum-File. Es ist ein magischer Moment geworden. Der Song ist in diesem Set ein richtiges Highlight. Wie «I’m Leaving You», das auch ein toller Track ist und schon immer ein heimlicher Favorit war. Daneben sind noch die bekannteren «Bad Boys Running Wild» oder «Big City Nights» zu hören.
MF: Die Texte waren sehr zweideutig. Wie kam es dazu?
Klaus: Sagen wir es mal so, das war der Tatsache geschuldet, dass wir den Rock'n' Roll lebten. Das hat sich zum Teil in den Texten widergespiegelt. Speziell unser damaliger Drummer Herman, der auch mein Songwriting-Partner war und mit dem ich viele Texte komponierte, hat es bei dem einen oder anderen Lied richtig krachen lassen. Das ging dann schon mal unter die Gürtellinie (grinst), wenn Herman seine Erlebnisse aus der letzten Nacht auspackte. Aber die Fans haben es geliebt, und Herman hätte gerne noch einen draufgelegt. Die Plattenfirma hat da aber nicht mitgespielt und gesagt: "Leute! Jetzt macht mal einen Punkt. «Rock You Like A Hurricane» ist okay. Diese Nummer sagt alles, und es muss nicht noch weitergehen.
MF: Mit «Still Loving You» habt ihr eine Ballade geschrieben, die speziell in Frankreich zu einem Kassenschlager wurde. Wie geht man damit um, einen Baby-Boom loszutreten und Jahre später die französischen Fans mit ihren erwachsenen Kindern, die den Namen «Sly» (steht für «Still Loving You») tragen, an den Konzerten zu sehen?
Klaus: Rudolf erzählt diese Geschichte immer sehr gerne (lachend). Sie ist wahr, dass es diesen Baby-Boom 1984 und 1985 gab. Es war der perfekte Song für "making love". Mit «Still Loving You» haben wir in Frankreich unglaublich viele Singles verkauft. Das war ein immenser Hit. Die Ballade war aber auch im Rest der Welt sehr populär. In all den Jahren haben wir sehr tolle Konzerte in Frankreich gespielt, und mit diesem Slow-Song wurden sie immer zu einem speziellen Erlebnis.
"...Klaus, ich weiss du hast eine schöne Stimme, aber ich will dir das glauben, was du singst..."
MF: Als du diesen Song einsingen musstest, wie schwer war es für dich, damit klarzukommen, Dieter Dirks zufrieden zu stellen?
Klaus: Ich könnte jetzt sagen, er war ja nie zufrieden (lacht). Ich bin damit gut klargekommen, weil ich wusste..., er war ein guter Lehrmeister, der uns immer alles abverlangt hat. In den Zeiten war es normal, dass es nicht nur um den Lead-Gesang ging, sondern um Tonnen von Backing-Vocals, die ich alle zu bewältigen hatte. Da ging immer noch was, und Dieter verstand es, mich zu motivieren und anzutreiben. War er nicht zufrieden, zog man sich zurück und versuchte, die nächste Session besser zu machen. Dieter sagte immer: "Klaus, ich weiss du hast eine schöne Stimme, aber ich will dir das glauben, was du singst. Du musst da rangehen wie ein Schauspieler, damit ich dir alles glauben kann." Das war der grosse Unterschied. Es ging nicht nur um eine coole Gesangs-Performance, bei der jeder Ton sass, sondern man auch die kleinen Unebenheiten beachtete. Man musste authentisch sein, um dieses Feeling herzustellen, das einen starken Scorpions Song ausmacht. Dieter hat nie nachgelassen, dies einzufordern.
Das war nicht nur bei mir so, sondern auch bei Rudolf, Francis, Herman und Matthias. Es waren alle gefordert, alles zu geben und am besten noch ein bisschen mehr, um diese Songs zu dem zu machen, was sie heute noch sind. Echte Klassiker, die man sich noch immer gerne anhört und sagen kann: "Wow, das ist eine geile Band und supergeile Songs." Die auch zu einem grossen Teil Rudolf zu verdanken sind. Er hat viele dieser Kracher als Komponist geschrieben. «Still Loving You» hat er sieben Jahre lang immer wieder an die Band herangetragen. Keiner wollte zuerst mitmachen, bis wir bei «Love At First Sting» diesen nicht unkomplizierten Track aufnahmen. Viele Jahre haben wir diese Idee überhört oder waren noch nicht überzeugt von der Magie. Rudolf wurde nicht müde, uns die Nummer immer wieder zu präsentieren. Es war und ist noch immer eine richtig starke Heavy Rock Ballade. Eine, die den Fans die Haare zu Berge stehen lässt.
MF: Manchmal muss es der richtige Moment sein...
Klaus: …genau! Vielleicht war vorher die Zeit noch nicht reif dafür. Jeder hat ein anderes Gefühl für eine Idee. Es ist dieser kritische Moment, wenn du nicht weisst, wie deine Kollegen auf eine Idee von dir reagieren. Persönlich finde ich den Part super, aber gefällt das den anderen auch? Die Frage wird nicht immer mit "Ja" beantwortet. Da gibt es Kritik, und man versucht, die Idee noch besser zu machen. Am Ende wird das Lied von der ganzen Band getragen. Diese Songs und die Texte dazu zu schreiben, ist immer eine sehr persönliche Angelegenheit.
"...Interessant wird es erst da, wo die Inspiration authentisch und echt ist..."
MF: Du hast gerade erwähnt, das Innere nach aussen zu tragen. Gab es bei dir eine Hemmschwelle, bei der du gesagt hast, das ist dir nun zu persönlich?
Klaus: Generell ist es so: Je persönlicher der Text wird, desto erfolgreicher wird der Song am Ende. All diese Geschichten, die man sich ausdenkt, sind gut und schön. Interessant wird es erst da, wo die Inspiration authentisch und echt ist. Bei dem man "heart and soul" einfliessen lässt. Je persönlicher man wird, desto glaubwürdiger wird man. Ich bin mir sicher, dass es den einen oder anderen Song und das eine oder andere Album gibt, bei dem dies durchscheint und man spürt, dass die Scorpions ganz bei sich geblieben und sehr authentisch sind. Am Ende hat es uns gezeigt, dass die stärksten Lieder entstehen, wenn sie aus der Band kommen. Wenn die Lust da ist, wieder ins Studio zu gehen und etwas Neues zu kreieren, dann weiss man, dass man sich aufeinander verlassen kann.
MF: Auf Tour brachen 1984 und 1985 alle Dämme. Den Madison Square Garden habt ihr dreimal ausverkauft. In Japan habt ihr in Tokyo im Budokan vor 15'000 Fans und in Frankreich im legendären Bercy gespielt. Das "Rock in Rio" war ein Teil davon, wie auch die "Monsters of Rock" Festivals in Europa. Wie hast du diese Highlights erlebt?
Klaus: Mit grossem Herzklopfen. Das sind viele schöne Erinnerungen, dass wir die Möglichkeit hatten, mit den grössten Bands dieses Planeten auf einer Bühne zu stehen. Gleichzeitig heisst es auch, wenn du es geschafft hast, in der Formel 1 des Rock'n'Roll-Geschäfts mitzufahren, dann musst du auch bei jeder Show abliefern. Dazu gehört eine Menge Selbstbewusstsein, aber gleichzeitig auch Demut. Das Publikum in Japan oder Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger in den USA, dem Rest der Welt oder auch zu Hause in Deutschland mitzunehmen und mit der Bühnenshow zu begeistern, ist immer eine grosse Herausforderung. Das "Rock in Rio" mit über 300'000 Besuchern, diese verrückten Brasilianer, die vor der Bühne stehen, und wir spielten zwischen AC/DC, Iron Maiden und Queen…, du gehst da raus und rockst mal locker 300'000 Fans. Oder damals beim "US Festival", bei dem knapp 500'000 Zuschauer kamen. Als wir als Co-Headliner mit Van Halen auftraten und nicht wenige US-Fans sagten: "The Scorpions stole the show".
Nachdem uns Van Halen keine Gimmicks und Special-Effects erlaubten, hat unser Tour-Manager bei der US Navy angerufen, die schickten uns fünf Düsen-Jets, die, kurz bevor wir auf die Bühne gingen, im Tiefflug über das Gelände donnerten. "Ladies and Gentlemen..., all the way from West Germany…, THE SCORPIONS»! Das war ein Effekt, den konnte niemand überbieten, auch Van Halen nicht. Die sassen in der Garderobe und dachten: "What the fuck is this?" (lacht). So erlebten wir viele aussergewöhnliche Momente. Da zählt das «Music Peace Festival» in Moskau auch dazu. Wenn ich sage, mit Herzklopfen, will ich damit ausdrücken, dass wir nie abgebrüht waren. Alles war mit vielen, vielen Emotionen verbunden, und man wollte immer sein Bestes geben.
"...Wenn du in einer Band spielst, da bist du nicht allein..."
MF: Bei all dem was da passierte, konntest du das immer alles verarbeiten oder hättest du gerne mal einen Stopp eingelegt?
Klaus (überlegt): Nein. Wenn du in einer Band spielst, da bist du nicht allein. Deine Mitmusiker gehen durch dasselbe emotionale Tal, zusammen mit dir. Am Ende ist es doch so, dass all diese Konzerte der Himmel, aber auch die Hölle sein können. Aber meistens erleben wir den Heaven. In dem Moment in dem das, was dich bewegt oder verunsichert, die Menge anzufeuern, die vor der Bühne steht und diesen «once in a lifetime» Gig von dir erwartet…, in dem Moment, wo du rausgehst und dich mit dem Publikum verbindest und für drei Generationen spielst. Es ist schön, so viele junge Leute zu sehen, die wir mit unserer Musik offenbar erreichen, denn das ist ein echtes Privileg nach all diesen Jahren.
Diese Begeisterung und diese Atmosphäre, die da ist, transportiert sich eins zu eins, sodass dein Herzklopfen dafür sorgt, dass dein "Oh Gott, jetzt gehen wir da gleich raus" wie weg ist. Das fühlt sich, wie einer der Songs auf «Love at First Sting», nach «Coming Home» an. Du kommst nach Hause und spielst für die Fans. Genauso fühlt es sich auch an. Alles andere ist von einer Sekunde auf die andere wie weggewischt. Du verbindest dich mit den Fans und bist genau an dem Platz, wo du immer sein wolltest und noch immer bist. Da, wo du dich wohlfühlst, zusammen mit den Fans, die dich und deine Musik verehren und lieben. Man gibt jedes Mal unheimlich viel Energie ab, aber es kommt unendlich viel zurück. Das ist nach all den Jahren noch immer ein so schönes Gefühl, das man nicht beschreiben kann. Es ist das, was den Motor der Scorpions am Laufen hält und uns noch immer heraus gehen und diese Herausforderung annehmen lässt.
MF: Das soll noch lange so anhalten.
Klaus: Mal sehen, was kommt, aber wir freuen uns jetzt auf die Deutschland-Dates und nächstes Jahr geht es weiter im Bestehen des 60sten Jahres der Scorpions. Da werden wir sicher eine grosse Party feiern.
MF: Klaus, vielen herzlichen Dank für die Zeit, die du dir genommen hast…
Klaus: …ich danke dir, Martin.
MF: Ich freue mich, euch bald wieder in der Schweiz zu sehen. Nicht nur, weil ihr in Murten meinen Lieblings-Song «I'm Leaving You» gespielt habt.
Klaus (lacht laut): Ja, das ist auch eine schöne Nummer. Es hat uns sehr viel Spass gemacht, das war dort eine sehr schöne Location direkt am See. Wir kommen immer sehr gerne in die Schweiz. Liebe Grüsse an unsere Schweizer Fans. Mal gucken, wo uns die Reise nächstes Jahr hinführen wird. Martin, hab' vielen Dank, bleibe gesund, und wir sehen uns. Tschüss!