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"...«Carpe Diem» ist ein direktes, britisches Hard Rock und Heavy Metal Album geworden. Da ist wieder dieser englische Sound zu hören..."
1979 gingen Saxon aus Son Of A Bitch hervor. Eine Truppe, die zusammen mit Def Leppard, Judas Priest und Iron Maiden die damalige "New Wave Of British Heavy Metal" Phase nachhaltig mitbestimmte. Die Band um Sänger Peter "Biff" Byford veröffentlichte mit dem legendären Triple «Wheels Of Steel», «Strong Arm Of The Law» und «Denim And Leather» innerhalb von 1980 bis 1981 drei Alben, die noch heute als die Besten der Combo angesehen werden. Zu oft wird dabei aber vergessen, dass auch «Innocence Is No Excuse» (1985, mit viel Melodie), «Solid Ball Of Rock» (1991, als Wiedergeburt der Band für viele Fans), «Forever Free» (1992 mit viel Metal), «Unleash The Beast» (1997 mit noch mehr Metal und noch mehr Melodien), «Metalhead» (1999, mit einer unglaublichen Dynamik), sowie «Sacrifice» (2013) mit einer grandiosen Kompaktheit überzeugen konnten. Sprich nur "Killers" und keine "Fillers"! Daneben stehen Klassiker wie «Crusader», «Dogs Of War», «Power & The Glory», «We Came Here To Rock», «I've Got To Rock (To Stay Alive)» oder «Live To Rock», um nur ein paar Übersongs zu nennen, welche den Briten einen unglaublichen Ruf einbrachten.
Wieso Biff, die beiden Gitarristen Paul Quinn und Doug Scarratt, Bassist Nibbs Carter und Trommler Nigel Glockler verkaufstechnisch immer hinter Priest und Maiden anstehen mussten, wissen bekanntlich nur die Metal Götter selber. Am Material, welches einen gleich grossen oder noch grösseren Erfolg gerechtfertigt hätte, liegt es bestimmt nicht. Auch nicht am Maskottchen, welches Saxon mit ihrem Adler hatten, der vor allem in den Achtzigern als Lichttraverse zum Einsatz kam. Die Metal-Ikone gibt allerdings immer noch kräftig Gas, und dies belegt auch der neuste Streich «Carpe Diem», der nur so vor tollen Melodien und kernigen Riffs strotzt. "Am Anfang stand das Riff" erklärte der Sänger in einem früheren Interview. Diesen Leitsatz haben sich Saxon wieder vor Augen geführt und den leicht progressiven "Ballast" mehr oder weniger über die Burgmauern geworfen. Das Line-up, welches seit 2005 Bestand hat, zeigt sich wie ein Jungbrunnen und haut einen Hit nach dem anderen aus den Bits der neuen CD heraus. Songs wie «The Pilgrimage», «Carpe Diem», «Remember The Fallen» oder «Living On The Limit» sind jetzt schon Klassiker, die in keiner künftigen Setliste fehlen dürfen. Während andere, gleich lang im Business stehende Combos, mit der Zeit zu schwächeln beginnen, legen Saxon noch ein paar heisse Briketts oben drauf und veröffentlichen bereits jetzt einen glühenden Anwärter auf das Album des Jahres 2022!
MF: Biff, Gratulation zum neuen Album…
Biff: …oh, herzlichen Dank (grinst zufrieden) und freut mich, wenn es dir gefällt…
MF: …klingt, als sei eine junge und frische Truppe am Werk…
Biff (lachend): …herzlichen Dank!
MF: Habt ihr lange an den neuen Liedern gearbeitet oder ging die Arbeit schnell von der Hand, damit alles frisch, unbekümmert und frech bleibt?
Biff: Wir haben tatsächlich nicht lange an den Liedern gearbeitet. Wir hatten bloss immer wieder Pausen zwischendurch, wegen COVID. Die Musik stand schon länger, und dann begannen wir die Tracks zusammen zu üben. So, wie wir es schon die letzten Jahre taten und konnten uns deshalb besser absprechen sowie zusammen an den Songs feilen. Das Schlagzeug wurde in Deutschland aufgenommen, darauf folgte der Bass. COVID machte uns dann aber einen Strich durch den Zeitplan, und wir konnten die Gitarren nicht aufnehmen. Darum haben wir zusammengezählt nicht lange an den Liedern gearbeitet, als Ganzes, aber mit den Pausen kam es uns wie eine Ewigkeit vor (grinst). Dies verhalf mir, intensiver an den Texten arbeiten zu können. Der Fokus lag auch mehr auf den Melodien. Ich denke, wir haben tatsächlich eine tolle Scheibe veröffentlicht.
MF: Du hast die Melodien erwähnt. Einiges erinnert mich an «Unleash The Beast», ein Album, auf dem ihr grossen Wert auf grossartige Melodien gelegt hattet…
Biff: …ja, da hast du nicht unrecht (grinst). Aber es ist immer das Gleiche, die Leute verbinden ein neues Album mit vergangenen Momenten und ihrer subjektiven Sichtweise. Viele sind der Meinung, dass der Sound wieder mehr bei den achtziger Jahren liegt, was allerdings nicht unser Plan war (lacht). Ich kann nachvollzeihen, wenn du «Carpe Diem» mit «Unleash The Beast» vergleichst. Damit kann ich gut leben, weil «Unleash The Beast» ein wirklich tolles Album war.
MF: Wie gross war für euch nach «Battering Ram» und «Thunderbolt» der Druck, einen valablen Nachfolger zu schreiben?
Biff: Wir versuchen immer, ein noch besseres Album zu komponieren, als es jeweils der Vorgänger war. Bei «Carpe Diem» baut sich vieles auf Gitarrenriffs auf. Ich wollte diese wieder im Vordergrund und Mittelpunkt haben und bin mir sicher, dass uns dies sehr gut gelungen ist. Paul zauberte dabei einmal mehr unglaubliche Ideen aus seinen Fingern. Das hat der neuen Scheibe eine aggressivere Kante verliehen. Dies wiederum könnte man mit «Battering Ram» vergleichen. Die Lieder sind aber völlig unterschiedlich. Wir wollten einfach "kantiger" werden.
MF: Ja stimmt, ihr habt für eine "simplere" Härte die progressiveren Parts weggelassen.
Biff. Genau. «Carpe Diem» ist ein direktes, britisches Hard Rock und Heavy Metal Album geworden. Da ist wieder dieser englische Sound zu hören. Du hast absolut recht, dass wir uns nicht mehr durch diese verspielten Parts verwirren liessen.
MF: Was mir auch aufgefallen ist…, ihr habt wieder vermehrt versucht, Bilder mit euren Texten, Songs und Sounds zu kreieren.
Biff: Ja…, es gibt viele Geschichten, welche wir in den neuen Liedern erzählen. Ich hatte einen guten Flow (grinst). «The Pilgrimage» war zuerst als Titel angedacht, aber dann schrieb ich den Text zu «Carpe Diem» und mir wurde bewusst, dass dies der bessere Albumtitel ist. «The Pilgrimage» ist ein typischer achtziger Song. Da hat es einiges von «Crusader» drin (grinst). Ich denke aber, dass «Carpe Diem» besser in die heutige Zeit passt und ein besseres Motto verkörpert.
MF: Als ich «The Pilgrimage» hörte, dachte ich: "Das ist doch der jüngere Bruder von «Crusader»"!?
Biff: Ja, rein vom Text her liegst du vollkommen richtig. Ich reime viel beim Texten, und das macht es nicht gerade einfacher, eine Geschichte zu erzählen. Ich versuche aber immer, kleine Storys zu kreieren. Vieles bei uns hat den Ursprung im klassischen Rock-Stil.
MF: «Remember The Fallen», an wen wollt ihr euch erinnern? Es gab mit «Requiem (We Will Remember)» vom «Solid Ball Of Rock» Album schon einen textlich ähnlichen Track.
Biff: Der Song handelt von COVID. Es war der letzten Track an dem ich arbeitete und den ich im Studio eingesungen habe. Ich gedenke all dieser Leute, die wegen dieser Pandemie gestorben sind, respektive speziell auch all den Ärzten und den Krankenschwestern, die einen unglaublichen Job verrichten. Darum kam es zu «Remember The Fallen».
MF: Was willst du uns mit «Living On The Limit» sagen?
Biff: Da geht es darum, dass man sich nach dem Adrenalin sehnt (lacht). Wie ein Surfer, der nach der perfekten Welle Ausschau hält (grinst). Wie wenn wir auf die Bühne gehen und das aufsteigende Adrenalin spüren. Wenn du merkst, wie dich das Publikum unterstützt und trägt. Ich bin mir sicher, dass man speziell als Rockband, die viel auf Tour ist, sich stets am Limit wieder findet. Speziell wenn man älter wird. Da sehnt man sich danach wieder auf die Bühne gehen zu können und das Adrenalin aufzusaugen (grinst zufrieden).
MF: Man darf ja durchaus behaupten, dass Saxon wie ein alter Wein sind, je älter desto besser…
Biff (lachend): …wahrscheinlich (lacht) oder wie ein Whisky (lautes Lachen). Wir versuchen immer viel Zeit für die Melodien und Lyrics aufzuwenden. Musikalisch verändern wir immer wieder unseren Stil, sofern es eine bessere Idee gibt. Wer auch immer die Grundidee einbringt, sei es Paul oder Nibbs. In diesem Moment versuchen wir konstant unser Bestes zu geben. Darum bin ich mir sicher, dass wir kein besseres Werk hätten abliefern können, als es «Carpe Diem» geworden ist. Vielleicht sind wir in ein paar Jahren noch besser. Aber zum jetzigen Zeitpunkt haben wir alles gegeben. Ich bin mir sicher, dass es nicht nur ein grossartiges Album geworden ist, sondern auch ein tolles Statement abgibt.
"...Arbeitest du an einem neuen Album, weisst du nicht, ob es die Leute mögen werden oder nicht..."
MF: Das ist das Interessante an Saxon…, als ich mir «Battering Ram» anhörte, dachte ich: "Wow, besser gehts nicht!". Dann habt ihr mich mit «Thunderbolt» eines Besseren belehrt, und nun hat mich «Carpe Diem» völlig aus den Socken gehauen.
Biff (lachend): Die anderen Jungs schickten mir ihre Ideen. Ich hörte sie mir an und begann an ihnen zu arbeiten. Jedes Lied auf dem neuen Werk bewegt mich. Schon als ich die Gitarrenriffs im Demo-Stadium hörte. Jeder, der die Demos hörte, war der gleichen Meinung, dass hier etwas Grossartiges am Entstehen ist. Arbeitest du an einem neuen Album, weisst du nicht, ob es die Leute mögen werden oder nicht. Eigentlich machst du nur Musik die dich selber anspricht und von der du begeistert bist. Es ist sehr angenehm zu hören, dass dir «Carpe Diem» so gut gefällt. Besser, als wenn du es nicht lieben würdest (lacht). «Carpe Diem» bietet eine tolle Ansammlung an grossartigen Tracks. Sie unterhalten die Zuhörer:innen gut.
MF: Gab es für dich bisher ein Album, das du persönlich sehr magst, den Fans aber nicht gefallen hat?
Biff: Nein, ich denke nicht. In den späten Achtzigern und frühen Neunzigern gab es Scheiben, die von der Presse nicht so gut aufgenommen worden sind. Passiert dies…, weisst du, viele Truppen mögen ihre Scheiben, auch wenn sie von der Presse zerrissen werden. «Destiny» war eines dieser Werke. Zu dem Zeitpunkt waren wir nicht wirklich eine eingeschworene Einheit. Hören sich die Leute dieses Album aber heute an, stellen sie fest, dass die Lieder gar nicht so übel sind (grinst). Für viele Fans ist «Destiny» ein Insider und auch «Lionheart» war so eine Platte. Die Fan-Basis hält an unterschiedlichen Alben fest, welche als deren Favoriten gelten.
MF: Interessant, dass du diese beiden Scheiben erwähnst. Ich liebe «Destiny» wie auch «Innocence Is No Excuse», habe aber noch heute habe ich meine liebe Mühe mit «Lionheart»…
Biff: …ja, interessant sagst du das. «Lionheart» hat sich nämlich als eine der sich am besten verkauften Scheiben entpuppt. Keine Ahnung, ob es nur am Titelsong liegt oder der Ansammlung an Liedern. «Solid Ball Of Rock» war ja auch ein sehr erfolgreiches Album, das die Leute lieben. Bei «Carpe Diem» sind wir ein paar Schritte zurück gegangen, heisst du weisst beim Schreiben nie, in welche Richtung du dich entwickeln wirst. Die Erwartungen steigen bei den Fans, speziell wenn du mit deiner Truppe älter wirst und schon sehr viele Scheiben veröffentlicht hast. Du musst das Level des Vorgängers übertreffen, sonst gehörst du schnell zum Alteisen (grinst). Das neue Album muss genau gleich gut sein wie jenes aus 1991 oder 1982 (grinst). Wären wir eine neue Band, achtzehn oder neunzehn Jahre jung und hätten «Carpe Diem» als Single veröffentlicht, wäre das verdammt grossartig. Denkst du dies als Fan aber auch, wenn sowas von Saxon veröffentlicht wird? Oder fragst du dich, ist «Carpe Diem» ebenso gut wie «Princess Of The Night»? Der Schlüssel dazu ist, dass der Fan die Band mag und sie mit dem verfolgt, was sie tut, respektive in den letzten zehn, zwanzig oder dreissig Jahren getan hat.
MF: Biff, danke dir für die Zeit…
Biff: …gern geschehen. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder einmal auf einem Festival oder auf Tour. Pass auf dich auf und herzlichen Dank.