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"...Es sind ein paar Schnitzer und Spielfehler drauf, und diese verleihen dem Album einen echten Charme..."
Wer hat an der Uhr gedreht, dass es schon zehn Jahre her ist, seit Nitrogods mit ihrem urwüchsigen Rock-Sound die Konzerthallen erzittern lassen? Gitarrist Henny Wolter (ehemals Primal Fear, Sinner, Thunderhead), Schlagzeuger Klaus Sperling (Primal Fear, Sinner, Freedom Call) und der singende Bassist Claus "Oimel" Larcher verbinden Status Quo mit Motörhead, zählen auf drei und machen keine Gefangenen. Was sie spielen, kommt von Herzen und aus der Seele. Trends sucht man bei diesem Trio vergebens, und alleine schon aus diesem Grund muss man sich das erste Live-Album «Ten Years Of Crap» anhören. Henny, Claus und Klaus lieferten derweil die passenden Antworten auf meine Fragen.
MF: Wie kam es zum Live-Album?
Henny: Die Initiative kam von Oimel. Die Aufnahmen ballerten ganz ordentlich (grinst). Ich hatte jedoch kaum was mit dem Ganzen zu tun, sondern sass nur da und sagte (lachend): "Ja, geil, macht mal". Viel trug ich nicht dazu bei, ausser die Tracks bei den Konzerten zu spielen. Ah doch, beim Mix von Stefan brachte ich mich ein (lacht).
Klaus: Wir schnitten drei Auftritte mit, und unser Freund Stefan Leibing (ehemals Gitarrist bei Primal Fear) hat sich angeboten, uns zu produzieren. Das Material war einfach zu geil, so dass wir uns sehr schnell einig waren es zu veröffentlichen. Wir hatten tierisch Bock auf eine Live-Platte. Wir sind alte Männer, und Live-Platten haben klar an Relevanz verloren. Seit den neunziger Jahren haben die Live-Scheiben nicht mehr den Stellenwert wie früher. Für uns drei sind Live-Platten hingegen essenziell. Thin Lizzy mit «Live And Dangerous», UFOs «Strangers In The Night» oder Motörhead und «No Sleep 'till Hammersmith», Ted Nugent mit «Double Live Gonzo» oder Status Quo mit dem roten Live-Album. Es sollte bei uns etwas im Stil dieser Live-Klassiker werden, etwas das voll auf die Zwölf und die Fresse geht. Nicht glattgebügelt, sondern den Spirit der Siebziger und Achtziger Klassiker aufgreift.
MF: Geht man mit "anderem" Lampenfieber auf die Bühne, wenn man sich bewusst ist, dass die Show aufgenommen wird?
Klaus: Das spielt keine Rolle…
Oimel: …ich habe nichts gemerkt (lautes Lachen).
Henny: Ich kenne das von Thunderhead, sprich der «Classic Killers Live» her, wo ich nicht ganz so befreit aufspielen konnte wie normalerweise (lacht).
Klaus: Als wir die Shows aufnahmen, wussten wir noch nicht was damit passieren soll. Wir haben die Gigs einfach mitgeschnitten und wollten danach schauen, zu was sie zu verwenden sind. Hätten wir eine DVD aufgenommen, würde sich dies sicher anders anfühlen.
Oimel: Es war dieses "schaun mer mal" Prinzip. Nehmen wir mal auf, dann schauen wir, ob wir es brauchen können…, "Schwob halt" (lacht).
Henny: Der Druck war nicht da. Es sind ein paar Schnitzer und Spielfehler drauf, und diese verleihen dem Album einen echten Charme.
MF: Wie sucht ihr euch die Songs für das Set aus?
Klaus: Die werden gemeinsam ausgesucht. Bei «Ten Years Of Crap» sind nur zwei Lieder des letzten Studio-Albums «Rebel Dayz» zu hören. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die Studio-Scheibe noch nicht veröffentlicht war, als wir die Shows spielten. Wir hatten aber Lust auf «Breaking Loose» und «We'll Bring The House Down»…
Oimel: …so als Bonbon, um die kommende Studio-Platte vorzustellen.
Klaus: Wir sind mit der Setliste sehr zufrieden.
MF: Das Live-Album besitzt durch die coolen Ansagen einen besonderen Charme. Wie viel davon ist improvisiert?
Oimel: In erster Linie ist es improvisiert, aber es ist immer ein Gemisch, in welchem du dich bewegst. Es hat schon Abende gegeben, da ist die Kommunikation mit dem Publikum fast ausgeartet, und wir sind kaum mehr zum Spielen gekommen (lacht). Das ist dann nicht Sinn und Zweck der Sache. In der Regel ist es so, dass wir Wert darauf legen, dass die Ansagen spontaner sind. Man kann es aber kaum glauben, dass nach der Show, wenn wir bei den Fans sind und Autogramme geben, sie uns sagen: "Hey, das hast du heute ja gar nicht gesagt!" Die Erwartungshaltung ist dementsprechend da. Darum ist eine Show ohne das "Bierflaschen-Solo" von Klaus undenkbar.
Henny: Korrekt, denn würde Klaus das nicht tun, wäre dies so, als würde Gene Simmons (KISS) nicht mehr Blut und Feuer spucken. Eine Nitrogods Show hat nach zehn Jahren eine eigene Dynamik entwickelt. Wir wissen, was der andere gleich machen oder sagen wird…, oder vielleicht auch nicht (lacht). Das ist ebenso ein nicht unwesentlicher Teil der Show.
Klaus: Jeder Auftritt ist anders und somit die Beziehung zum Publikum hin auch. Da geht man darauf ein oder es passieren Dinge auf der Bühne, die nicht geplant waren.
MF: Seid ihr lieber auf der Bühne als im Studio?
Henny: Ich weiss es nicht..., im Grunde…, ich kann es dir nicht genau sagen…
Klaus: …beides hat seinen seinen Reiz…
Oimel: …korrekt!
Henny: Ich geniesse es, wenn ich manchmal meine Ruhe habe, keiner dazwischen quatscht, ich am Basteln bin sowie alles furchtbar klingt und letztlich gelöscht wird.
Klaus: Es ist interessant zu sehen, wie im Studio ein Album entsteht. Ab und zu im Aufnahme-Tempel noch neue Ideen ausgearbeitet werden, bis das fertige Produkt schlussendlich da ist. Klar…, live spielen ist schon…, meistens geil (lacht).
Oimel: Spätestens nach neunzig Minuten live bist du am Boden. Das ist im Studio anders, da gehen die Kraftreserven erst nach acht Stunden aus. Die Finger tun weh oder ich habe Hunger, aber es hat tatsächlich beides seinen Reiz.
"...Wenn es Streit gibt, dann ist der nach einem Tag meistens vergessen. Das sind Dinge, die auch dem Alter geschuldet sind..."
MF: Trotzdem, auf der Bühne seid ihr eine Einheit und was ihr macht, kommt aus dem Rock'n'Roll Herzen…
Oimel: …das ist absolut richtig.
Klaus: Es gibt auch einen Grund, wieso wir seit zehn Jahren in der gleichen Besetzung spielen..., wir sind auch privat befreundet.
Oimel: Im Gegensatz zu früher prügeln wir uns nicht mehr im Proberaum. Wenn es Streit gibt, dann ist der nach einem Tag meistens vergessen. Das sind Dinge, die auch dem Alter geschuldet sind (lacht). Klar, mal stinkt dir das oder jenes, und dann findest du das oder jenes geil. Seit zehn Jahren…, man versteht sich mittlerweile blind. Da passieren Dinge auf der Bühne…, früher haben wir uns zum Beispiel nach einem Trommelwirbel umgesehen und geschaut, was denn jetzt kommen möge. Heute stehst du am Bühnenrand und weisst es, ohne es zu sehen.
Klaus: Was mir an diesem Live-Album so mega gut gefällt, ist, dass es roh und dreckig klingt, so wie es sein soll. Viele Versionen kommen dabei um einiges geiler als die Studio-Versionen daher…
Oimel: …alle (lautes Lachen)! Sie drücken viel mehr, und ich bin sehr glücklich mit der Live-Scheibe.
Klaus: Wir spielen auch nicht mit Klick. Darum sind die Tracks ab und zu halt ein bisschen schneller oder langsamer. Doch das ist live, und früher in den Achtzigern hat keine Band mit Klick gespielt. "Alter, die spielen den Song ja viel schneller als auf Platte!". Genau das ist für mich lebendig und live.
Oimel: Ich komme aus einer Punk-Band, da wusste ich bis im Jahr 2000 nicht mal, was "ein Klick" überhaupt ist (lacht).
Klaus: Das macht dieses Live-Feeling eben aus.
Oimel: Du legst einfach eine andere Dynamik hin, und es fliesst besser, als wenn diese Zahnarztpraxis mitläuft (lacht).
"...Kein fliessendes Wasser und die Kloschüssel war eingefroren..."
MF: Zehn Jahre Nitrogods…, was habt ihr in diesem Jahrzehnt alles erlebt?
Klaus: Viel! Vom kleinsten Klo bis zum grossen Festival haben wir alles gespielt.
Henny: Das war eine ganze Menge, und ich würde sagen, dass wir überdurchschnittlich viel gespielt haben. Nitrogods hatten keinen raketenartigen Start. Das war eher mit der Geburtshelferzange und viel drücken passiert (lacht). Die Band musste sich erst auf der Bühne finden, darum waren die ersten Shows teilweise ganz schön rumpelig (grinst). Da funktionierte das Improvisierte noch nicht. Dieses "Motörhead meets Standup Comedy". Ja, wir haben jedes Klo bespielt und sind vor nichts zurück geschreckt. In den ersten Jahren waren wir bei den Veranstaltern auch gerne der Lückenfüller, wenn eine Truppe ausfiel. Wir sagten nie "nein" und trugen deshalb ein entsprechendes Image in der Branche weg. Da mussten wir uns zuerst aufbauen, auf grösseren Festivals spielen und eben lernen "nein" zu sagen.
Oimel: In Frankreich gibt es so eine irre Programmierin, die in der Ecke von Marseille lebt. Ihr Hobby ist es, mit Bands auf Tour zu gehen und zu promoten. Es war alles ganz nett, bis wir an diesen einen Ort angekommen sind, wo es keine Türen und Fenster gab.
Henny (lachend): Kein fliessendes Wasser und die Kloschüssel war eingefroren.
Oimel: Es hat reingepisst und die halbe PA war am Arsch. Bist du länger als zwei Minuten am gleichen Ort stehen geblieben, hast du festgeklebt. Wir erlebten einiges, aber das war schon…, sagen wir mal…, bemerkenswert (lacht). Am Schluss ist der Typ noch mit der ganzen Kohle abgehauen. Es hat alles gepasst, so wie man es sich vorstellt. Es gibt aber auch ganz tolle Gigs…
Klaus: …wir haben unter anderem auf dem "Rock Harz Festival" gespielt, es war wirklich alles dabei.
Henny: Ein Stück weit zielt der Titel «Ten Years Of Crap» auch auf unsere ersten Erfahrungen ab. Die ersten Jahre des Schrottes…, so zu sagen (lacht). Da haben wir echt jeden Scheiss mitgemacht. Darum fanden wir alle den Titel geil, auch wenn er zu Beginn ein bisschen sperrig oder ironisch klingt.
MF: Welche Ziele hattet ihr, als mit Nitrogods alles los ging?
Oimel: Hatten wir Ziele (grinst)?
Klaus: Klar hatten wir die! Sicherlich, dass wir einen Plattenvertrag kriegen und schauen, wie weit wir mit der Band kommen.
Oimel: Einfach Rock'n'Roll spielen, ohne Wenn und Aber! Die Weltherrschaft erringen, das ist vielleicht ein bisschen optimistisch (lacht). Es wäre echt geil, wenn wir von der Truppe leben könnten.
Henny: Oft fällt mir auf, dass Leute nach grösseren Festivals zu uns kommen und sagen: "Wow, das ist ja geil, wo kommt ihr denn her?" Als hätte es uns nie gegeben. Das sind oftmals diese Ü50 Motörhead Fans. Der Mann ab fünfzig ist ja ziemlich unempfänglich für Neues, und selbst Automobilkonzerne schlagen sich dabei die Zähne aus. Das gleiche Syndrom herrscht auch ein bisschen bei uns. Die Jungs kennen die Truppen die sie lieben und wollen sich keine neuen anhören. Spielen wir eine Support-Show für Phil Campbell (ehemaliger Gitarrist von Motörhead), verkaufen wir für zigtausend Euro Merchandising, und alle drehen durch. Deshalb glaube ich, dass wir hier noch Luft nach oben haben. Die Leute, die uns hören könnten, wissen oftmals gar nicht, dass es uns gibt. Da reichen Konzerte, bei denen sie uns aus Versehen sehen (grinst). Darum freuen wir uns auf die Tournee im Oktober, zusammen mit Phil. Da versprechen wir uns eine ganze Menge davon.
Klaus: Das Ganze polarisiert, aber das finde ich gut. Wir machen genau das, auf was wir Bock haben und klingen nicht nach dem oder das. Es fliesst simpel aus uns heraus und passiert einfach.
Oimel: Das ist vielleicht auch der Grund, wieso die Leute dies spüren. Auch solche, die das sonst nicht spüren (grinst). Das ist vielleicht auch Sinn und Zweck des Ganzen, bloss wissen wir es nicht (grinst), weil es uns keiner sagt. Mir sagt ja keiner was (lautes Lachen)!
MF: Wie sind die Aufgaben bei euch verteilt?
Klaus: Der Oimel macht das Merch und die Logistik, Henny das Finanzielle, und ich kümmere mich um das Booking, auch wenn wir eigentlich einen Booker haben. Wir haben zwar keinen exklusiven Vertrag abgeschlossen und sind dennoch sehr zufrieden mit ihm.
Oimel: Die Social Media Geschichten machst auch du…
"...da kannst du schauen, wer dein Fan ist. Zu 87 % sind das Männer über fünfzig Jahre. Damit ist eine ganz klare Marktanalyse gemacht..."
MF: …sind die für euch Fluch oder eher Segen?
Klaus: Beides.
Henny: Für mich war es früher schöner, da einfacher. Es erwies sich als schwierig, einen grösseren Plattenvertrag zu kriegen. Hattest du diesen, warst du ein Teil des Business und zum Beispiel in den Magazinen vertreten. Ich komme langsam in ein Alter wo ich sage: "Das war nicht schlecht, denn da wusste ich zumindest, was ich zu tun habe" (lacht). Haben wir etwas auf TikTok zu suchen? Nein, und da würden mein Sohn oder meine Tochter sagen: "Verschwinde da sofort, das ist peinlich!" (lacht). Es gibt diese Marketing-Tools auf Facebook, da kannst du schauen, wer dein Fan ist. Zu 87 % sind das Männer über fünfzig Jahre. Damit ist eine ganz klare Marktanalyse gemacht (lacht). Bedeutet, deine Zielgruppe ist für Werbung nicht empfänglich (lacht). Aus gutem Grund, denn ich kenne es von mir selbst.
Oimel: Eigentlich muss man es als Segen betrachten. Wir diskutierten beispielsweise, ob wir Flyer produzieren sollten. Aber ehrlich (lacht), wenn auf dem Tresen in der Kneipe Flyer herumliegen, dann wische ich sie weg, dass Platz fürs Bier ist (lacht). Eigentlich ist das sehr schade, denn ich komme aus dieser Zeit, in der man gerne noch was zum Lesen in der Hand hielt oder sich die Plakate an den Säulen anschaute. Heute hast du bloss zehn Klicks und Likes. Das wurde wichtiger als alles andere. Henny hat sich kürzlich, zusammen mit seinen Sohn, Videos auf YouTube angesehen. Wenn da nach zwanzig Sekunden nichts passiert, wird zum nächsten gewechselt. So ist das heute, und als Band musst du da mitmachen. Wir sind auch in einem gewissen Alter (lacht), aber es war interessant, als uns kürzlich jemand sagte, dass man auf unserer Homepage die Tourdaten nicht mehr sehen könne. Mir war echt nicht bewusst, dass sich überhaupt noch jemand eine normale Homepage anschaut (lacht). Darum haben wir dies sofort nachgeholt und die Tourdaten aktualisiert (lacht).
Klaus: Wir sind schon glücklich, wenn wir unsere Smartphones bedienen können…
Oimel: …es könnte mehr sein (lacht). Ich bin noch immer der Überzeugung, dass mit einer kleinen Linse einer Handy-Kamera nicht ein gleich gutes Video entstehen kann, wie mit einer richtigen Kamera, das ist unlogisch. Es gibt physikalische Gesetze, und die sollte man einhalten (grinsend). Aber da werden Videos mit diesen Handys gemacht, und normalen Menschen fällt der Unterschied nicht mal mehr auf. Irgendwann muss man das halt akzeptieren. Scheisse, 10'000 Euro zu viel für Equipment ausgegeben.
MF: Was für ein Schlusswort (alle lachen). Besten Dank für das Interview…
Oimel: …sehr gerne, und wir sehen uns beim "ICE ROCK Festival" im nächsten Januar!
Klaus: Wir haben zu danken Martin…
Oimel: …streichle deinen Hund (alle Lachen)
Henny: Ich danke dir ebenso Martin. Wir sehen uns auf jeden Fall und freuen uns drauf. Bleib gesund und hau rein!