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"...Von Klang und Sound her hat Charlie echt wieder gezaubert!..."
Die lebendige Atmosphäre eines Konzerts einzufangen, ist nicht immer einfach, und dass die besten Live-Alben schon eingespielt worden sind, ist eine weitere Tatsache. Trotzdem haben es die Hamburger geschafft, mit «Live At Budokan» ein Ereignis in Bild und Ton festzuhalten, sodass man beim Anhören des neuesten Streichs von Helloween das Gefühl kriegt, mitten im Publikum zu stehen. Dabei fragt man sich unweigerlich, ob es das Feeling ist, das vom Publikum ausgeht oder die unglaubliche Spielfreude der Truppe, die ansteckender ist.
Die Sänger Andi Deris und Michael Kiske, Bassist Markus Grosskopf, Schlagzeuger Dani Löble und die Gitarren-Front mit Michael Weikath, Kai Hansen (der auch singt) und Sascha Gerstner entfachen ein dermassen mitreissendes Live-Feeling, dem man sich als Musik-Liebhaber unmöglich entziehen kann. Das Ganze wurde in einer der berühmtesten Konzerthallen der Welt aufgenommen, nämlich im Budokan, der legendären Kampfsporthalle in Tokyo. Wie es zu diesem Highlight in der Karriere der Kürbisse kam, erzählt uns Andi, der noch immer mit grosser Bewunderung von diesem legendären Ort spricht.
Andi: Hast du dir die Live-Scheibe schon angehört?
MF: Ja, und ich finde, euch ist da eine perfekte Meisterleistung gelungen. Wie ihr die Atmosphäre eingefangen habt, das ist ganz grosses Kino.
Andi: Martin, das freut mich sehr zu hören. Ich kenne bis jetzt nur die Vorab-Version, und die fand ich schon ziemlich geil. Von Klang und Sound her hat Charlie (Bauerfeind, Produzent) echt wieder gezaubert! Es ist gut, dass der Herr, der schlussendlich produzieren und mixen muss, auch in Tokyo dabei war. Da geht dann, Gott sei Dank, nichts schief. Bei der «Live On 3 Continents» wurden uns die Files von der Show in Brasilien zugeschickt. Da erwartest du ein «Eagle Fly Free» mit donnernden Double-Bass-Drums, und was hörst du? Dem Donnern war leider nicht so, und da kommst du dir vor wie ein Arsch. Man legt einen Haufen Geld hin, und dann fehlt ein Kick – das war das Schlimmste, was passieren konnte!
Es gab noch andere Dinge, die man locker ausbessern konnte, aber einen Kick in einen Flow einzubauen? Da musste Dani ins Studio und auf seinen bestehenden Kicks neue basteln. Das wird dem Fluss eines Konzerts nicht gerecht. Mit dem Adrenalin…, das hat echt eine scheisslange Zeit gedauert, bis es dann so geklungen hat, wie es klingen soll. Man könnte natürlich auch die faule Tour wählen und alles neu einspielen, aber das machen wir nicht. Bei dieser Tour war es der Hammer. Charlie ist ein unfassbares Tier. Der nimmt alles doppelt auf. Da steht nicht nur ein System, nein, da kommt ein zweites dazu (grinst).
"...Da beginne ich innerlich schon zu zittern..."
MF: Geht man mit dem Wissen, eine Live-Scheibe aufzunehmen, mit mehr Lampenfieber auf die Bühne?
Andi: Das Lampenfieber ist auf jeden Fall präsent. Für mich gesprochen: Ich bin so ein Töffel, der sich das immer wieder ins Gedächtnis ruft (grinst). Als könnte ich besser singen, wenn ich mich selbst in den Wahnsinn treibe (lacht). Dabei entsteht der gegenteilige Effekt. Ich kriege das nicht aus dem Schädel. "Scheisse, heute nehmen wir alles auf und dann noch im Budokan. Meine Güte!" Da beginne ich innerlich schon zu zittern (lacht). Als ich aus der Garderobe kam, sah mich Michi an und wusste: "Okay, der Alte wird schon wieder nervös" (lacht).
Er kam mit einem Gläschen Rotwein an und meinte nur: "Hier, komm, lass uns anstossen, wir sind im Budokan." Das ist dann eine ganz andere Nummer, und ich denke: "Alles klar" (grinst zufrieden). Das holt mich herunter, ihn aber auch. Deswegen kommt Michi immer mit dem Glas ums Eck. Er sucht mindestens dreissig Minuten vor der Show meine Nähe. Bedeutet: Mindestens eine halbe Stunde vor dem Gig kommt einer mit einer Rotweinflasche angewackelt (lacht). Dann ist Zeit, sich erstmal hinzusetzen, einen Schluck zu trinken, und wenn du merkst, dass sich die Nervosität teilt, dann bringt uns das beide herunter. Aber innerlich war ich auf 180 Grad, ohne Zweifel.
Damals bei uns in Karlsruhe, da war ich 16 oder 17 Jahre alt, waren meine Musikeridole die Stadthelden. Die waren alle zwischen 30 und 35 Jahren alt. Ich dachte damals: "Wow, das sind diese Wahnsinnigen, die auf der Bühne stehen können und richtig geile Musik machen." Der eine oder andere spielte nicht nur in Cover-Bands, sondern machte auch eigene Musik. Mehr oder weniger erfolgreich – im Ländle. Bei denen gab es den Spruch: "Einmal Budokan und dann sterben." Ich wusste nicht, wovon die redeten, und musste mir das erklären lassen.
Das ist die Halle in Tokyo, und wenn man dort auftreten konnte, dann hatte man es geschafft. Und plötzlich stehst du selbst da und denkst: "Scheisse! Ich spiele heute Abend im Budokan." Weisst du, Martin, ich wurde da echt nervös (grinst). Das ist zum Kotzen, aber so ist es. Viele denken, dass man als Musiker mit den Jahren abstumpft, aber das ist definitiv nicht der Fall – und vielleicht auch gut so. Denn Adrenalin ist gut für eine Show, du bist hellwach! Andere brauchen dazu eine Ladung Koks, ich nicht.
Ich bin schon genügend aufgeregt, da brauche ich kein Kokain (lacht). Das Ganze mit dem Adrenalin kann aber auch nach hinten losgehen. Wir sprachen gerade von Charlie, unserem Produzenten. Er war ein hammermässiger Schlagzeuger und wollte richtig Karriere machen. Dabei stellte er ganz, ganz früh fest: besser nicht. Denn vor lauter Aufregung hat er immer gekotzt. Das Ganze ging ihm dermassen an die Nieren, dass er sich entschied, nicht mehr auf die Bühne zu gehen.
So wurde er Produzent, das war auf jeden Fall keine falsche Entscheidung. Ronnie James Dio hat bei grossen Konzerten auch immer gekotzt. Als Sänger musst du bei solchen Momenten gut nachspülen, damit nichts auf die Stimmbänder kommt. Wobei ich die Vermutung habe, dass er deswegen so geil gesungen hat (lautes Lachen). Doofe Theorie, aber wer weiss (grinst)? Dio war mein Hauptidol am Gesang…, eigentlich. Wobei ich es nie gepackt habe, so zu singen wie er. Dafür kann ich hoch shouten.
Später bemerkte ich, der klingt so, wie ich mal klingen könnte, und das war Rob Halford. Um Gottes willen, nicht falsch verstehen, ich werde mit meiner Stimme nie an Rob herankommen. Aber er befindet sich eher in der Ecke, in der ich singe. Verstehst du? Früher konnte ich mich mehr mit ihm, als mit Ronnie identifizieren. Nochmals, damit will ich nicht sagen, dass ich so toll bin wie die beiden, aber stimmlich gehe ich eher in die Richtung von Halford.
Rob hat mir ein bisschen aus der Klemme geholfen, weil ich bei meiner Identitäts-Findung festgestellt habe, dass es doch eine Ecke für meinen Gesang gibt. Dann kamen noch KISS dazu und Paulchen. Paul Stanley singt eher in den mittleren Lagen und nicht so hoch wie Ronnie. Das Metier konnte ich bedienen. So wuchs ich mit dem Halford- und KISS-Gesang auf, und das hat bei mir gesanglich einigermassen funktioniert. Gott sei Dank! Wahnsinn, wenn man da an die alten Tage zurückdenkt.
"...Was bist du denn für ein Spinner?..."
MF: Wie lange kennen wir uns schon?
Andi: Ewig und drei Tage (grinst). Damals, was hätten wir machen sollen? Wenn du in deutschsprachigen Ländern gesagt hast, dass du Rock-Musiker werden willst, haben sich alle an den Kopf gegriffen und gesagt: "Was bist du denn für ein Spinner?" Lernen konntest du das nirgends. Damals konnte ich nicht einmal Tontechniker in Deutschland lernen, sondern hätte das über ein Elektrotechnik-Studium und ein Tonmeister-Studium machen müssen. Aber ich wollte nicht Tonmeister werden und ein Theater beschallen! Ich wollte mischen, engineeren und produzieren. Charlie hatte den finanziellen Rückhalt seiner Familie und konnte sich eine Ausbildung in den USA leisten. Meine Eltern hätten das Geld dafür nicht gehabt. Deutschland war echt ein Grab oder ist es vielleicht immer noch? Keine Ahnung.
MF: Trotzdem hat es immer sehr prägnante Bands aus Deutschland gegeben: Accept, die Scorpions, Helloween oder du mit Pink Cream 69. Da war schon grosse Eigenständigkeit und Qualität vorhanden.
Andi: Das lag an der autodidaktischen Herangehensweise der von dir erwähnten Bands. Wir waren damals echt fleissige Hunde. Als wir uns bei PC69 zusammenfanden, waren wir alle schon recht gute Musiker. Jeder hatte zuvor in drei oder vier Bands gespielt, bei denen die eigene Lernkurve hochging.
Mit sechzehn oder siebzehn zogen alle anderen los, um Party zu machen, während wir uns im Proberaum verkrochen haben. Lernen, lernen und nochmals lernen. Es gab niemanden, der uns etwas beigebracht hat, also musstest du es dir selbst beibringen. Internet gab es damals auch nicht, wo dich ein Gitarren-Genie mit seinen Künsten inspiriert oder du etwas von ihm lernen konntest. Dieses Selbststudium ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Scorpions die Scorpions sind. Mit ihrem eigenen Sound haben sie diesen weltweiten, immensen Erfolg erreicht.
Sie mussten alles selbst machen. Ich komme aus der Generation danach, und bei den Scorpions gab es wirklich überhaupt nichts, deshalb haben sie einen Sound entwickelt, den nur sie spielen können, heisst keinen Abklatsch von irgendwem war. Verglichen mit Amerika kam wenig aus Deutschland. Klar, ich bin auch stolz, dass wir ein paar geile Bands aus Deutschland haben. Aber wenn du das mit England oder den USA vergleichst, hatten die schon Jahrzehnte zuvor andere Möglichkeiten. Diese Länder dominierten die Welt. Da kannst du in Deutschland nur froh sein, dass es so sture Böcke wie die Scorpions, Accept oder Helloween gab, die einfach gesagt haben: "Ich will aber!" (lacht).
"...Du hättest jedoch garantiert keine Gänsehaut gekriegt, wenn du dir meine Demos angehört hättest..."
MF: Aber das ist ja das Gute. Durch dieses Üben kam auch diese Individualität ans Tageslicht. Keine Band aus Deutschland klang wie die andere. Hörst du dir heute neue Combos an, klingt vieles gleich.
Andi: Ja, klar, aber es ist auch echt schwer geworden für die Jungen. Wenn ich heute eine neue Band aufbauen müsste, ohne der Sänger von Helloween zu sein – ich wäre 25 Jahre alt und wollte die Welt erobern – und das soll Rock und Metal werden…, es ist nicht leicht. Über die Jahrzehnte wurde alles schon mal gemacht. Wir, die noch echte Instrumente spielen, würden uns nicht auf Elektro-Metal einlassen. Da steht man sich selbst im Weg. Obwohl es genügend Bands gibt, die das probieren. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte. Eine Gitarre ist eine Gitarre, und bei Pink Cream 69 hat mich all das nicht interessiert. Ich wollte einfach nur meine Songs schreiben, und die sollten so und so klingen.
Ich habe mich nicht an KISS, Sweet oder Judas Priest orientiert, also an den Bands, die ich mir am meisten angehört habe. Mit meinem bescheidenen Können, aber viel Liebe, habe ich versucht, etwas zu kreieren, das mir selbst eine Gänsehaut beschert. Dies mit der Hoffnung, dass in der Band ein Gitarrist ist, der besser spielt als ich – was Koffler definitiv konnte – und das Ganze nochmals ein Level hochzieht. Sprich: eine Band, die eine Gesangs-Melodie, bei der ich eine Gänsehaut bekomme, so umsetzt, dass die Menschen, die dies hören, auch Gänsehaut bekommen. Du hättest jedoch garantiert keine Gänsehaut gekriegt, wenn du dir meine Demos angehört hättest (lacht).
"Ich wollte machen, worauf ich Lust hatte und nicht, was andere wollen"
MF: Wer weiss?
Andi (lachend): Na gut, du bist Musik-Liebhaber, und du hättest dir das vielleicht angetan (lacht). Heute würde ich es genau so versuchen wie damals, heisst mich hinsetzen, Ideen austüfteln und Songs schreiben. Mit der Hoffnung, dass die Band alles nochmals steigert, mehr kannst du nicht machen. Mit einer Firma im Rücken, die sagt: "Das pushen wir jetzt mit dem Zug, der gerade abfährt" – darauf hätte ich persönlich keinen Bock. Ganz ehrlich, dann hätte ich damals schon keinen Plattenvertrag unterschrieben. Ich wollte machen, worauf ich Lust hatte, und nicht das, was andere wollen.
MF: Auf dem neuen Live-Album sind die Reaktionen der japanischen Fans unheimlich gut eingefangen worden.
Andi: Total!!!
MF: Hatten Helloween und Japan schon immer, noch immer oder wieder eine so enge Beziehung zueinander? Zumindest müsste das doch schon zu den «Keeper Of the Seven Keys» Zeiten so gewesen sein, oder?
Andi: Bei der «Keeper…» noch nicht. Da waren die Jungs im Aufwind. Weiki hat mir mal Bilder von damals gezeigt. Helloween spielten zu der Zeit in diesen wunderschönen japanischen Theatern, bei denen es eine Empore zum Sitzen gab. Das waren Säle mit 2'000 bis 2'500 Plätzen. Sie spielten dann an bis zu sieben Locations auf der Tour. Zu der Zeit gab es den Anstands-Applaus der Fans. Der flachte in ein leichtes Klatschen ab, und sobald man ans Mikrofon ging, herrschte absolute Ruhe. Da hättest du die berühmte Nadel fallen hören können. Bei meiner ersten PC69-Show in Kawasaki dachte ich nur: "Scheisse, was ist passiert? Ist irgendwas kaputt?" Bis ich gerafft habe, dass mich alle bloss ganz erwartungsvoll angestarrt haben.
"...Der Sänger will etwas sagen und dann halten wir jetzt alle die Klappe..."
Die warteten darauf, dass ich eine Ansage mache. Absolute Ruhe, mit der sie dir ihren Respekt zollten. Der Sänger will etwas sagen und dann halten wir jetzt alle die Klappe. Das war für mich als Mittel-Europäer ein bisschen komisch (grinst). Eigentlich wollte ich, dass sie weiterbrüllen (lacht). Daran hatte ich lange zu knabbern und musste mich erst daran gewöhnen. Wenn du auf der Bühne stehst und alle jubeln, ist das cool. Herrscht aber absolute Ruhe und nicht mal ein Räuspern, nichts ist zu hören, dann ist das wie die Hose herunterziehen (grinst). So fühlst du dich, denn es wird erwartet, dass du etwas sagst (lacht). Jede Scheisse, die du jetzt verzapfst, ist für alle verständlich (lacht). Das war ein komisches Gefühl.
MF: Dass man dann im Budokan endet, ist ein grosser Ritterschlag!
Andi: Grösser wurde alles bei Helloween mit der «Master Of The Rings» und «The Time Of The Oath». Mit Gold- und Doppelplatin-Auszeichnungen. Da waren wir echt gross. Was heisst waren, wir sind es immer noch (grinst zufrieden). Ich hatte vor dir das Interview mit den Japanern. Wir haben über ein Jahr nicht mehr bei ihnen gespielt. Trotzdem ist das Interesse an uns nicht abgeflacht. Danke schön! Mit «Master Of The Rings» und «The Time Of The Oath» spielten wir in den grösseren Theatern, also in Auftritts-Stätten mit 4'000 oder 5'000 Plätzen, mit drei oder vier Emporen übereinander.
Das war damals schon echt beeindruckend. Mit der «The Time Of The Oath» spielten wir unfassbare elf Konzerte in Japan, heisst an vielen Orten, an denen man normalerweise nicht spielt. Da waren wieder 2'000er-Hallen an der Tagesordnung. Aber dass wir so viele Gigs spielen konnten, war für mich als "blöder Europäer" grossartig. Mal was anderes zu sehen als "nur" Osaka, Nagoya und Tokyo. Diese kleineren Küstenstädte, das war schon echt geil! Dass man dann letztlich im Budokan endet, ist in der Tat ein grosser Ritterschlag…
MF: …den ihr euch über all die Jahre verdient habt!
Andi: Das kann man sehen, wie man will. Es gibt viele Bands, die mehr schuften als wir und es genauso verdient hätten. Es ist aber grossartig, wenn man da auf der Bühne steht und weiss, dass wir es sind und sein dürfen, das ist geil!
MF: Das hört sich vielversprechend an. Andi, danke dir für die Zeit! Ich weiss, du steckst mitten im neuen Studio-Album…
Andi: …das Schlagzeug ist aufgenommen, ebenso die ersten Gitarren. Es klingt schweinegut, aber mal sehen, wie es wird (lacht). Wir haben dieses Mal ein brutales Luxus-Problem: viel zu viele geile Nummern, ohne Scheiss! Selten, dass man das sagen kann.
MF: Herzlichen Dank für die Zeit! Es hat mich gefreut, wieder mit dir zu sprechen…
Andi: …mich auch, wie immer. Es war mir eine Ehre (grinst)…
MF: …mir auch. Wir sehen uns beim nächsten Interview zum neuen Werk und dann bei der Show in der Schweiz am 20. November 2025.
Andi: Unbedingt beim nächsten Interview! Alles klar, mein Lieber, pass auf dich auf und bis bald.