
Swiss Hard Rock and Heavy Metal Magazine since 1999
You can reach us via email or phone.
+41 (0) 79 638-1021
"...Das ist immer mit einer gewissen Gefahr verbunden..."
Udo Dirkschneider (Gesang), sein Sohn Sven (Schlagzeug), Peter Baltes (Bass) und die beiden Gitarristen Fabian Dee Dammers und Andrey Smirnov gehen in der Regel als U.D.O. ins Studio und auf Konzertreise. Ausser, wenn Udo sich an seine musikalische Vergangenheit erinnert und die Accept-Songs unter dem Namen Dirkschneider präsentiert. Dies ist nun wieder der Fall, wenn er auf Tour geht und dabei das komplette Album «Balls To The Wall» spielen wird. Als wäre das nicht genug, hat der Shouter Gastsänger ins Studio eingeladen, um den Klassiker neu einzuspielen und unter dem Namen «Balls To The Wall Reloaded» am 28.02.2025 wieder zu veröffentlichen.
Ein mutiges Unterfangen, schliesslich hat dieses Album Accept damals die Tür nach Amerika geöffnet und den Weg für eine internationale Karriere geebnet. Doch wer Udo kennt, weiss, dass er nichts veröffentlichen würde, das nicht einen hohen Qualitäts-Standard aufweist. Zumindest kann man von der Neuauflage behaupten, dass mit Udo, Peter und Stefan Kaufmann, der im Hintergrund mitarbeitete, immerhin drei Fünftel der damaligen Accept-Besetzung an der Entstehung beteiligt waren.
MF: Ihr kommt gerade vom Urlaub, von der "70000 Tons Of Metal" Cruise zurück...
Udo (lacht laut): …ja, also...
Peter (lacht): ...so würde ich das nicht sagen.
Udo: Es war schön warm, aber Urlaub? Na ja, es hat sicher Spass gemacht, zugleich war es aber auch ein Schnellschuss. Wir bekamen sehr kurzfristig Bescheid, mussten Flüge buchen und sind ohne Proben auf die Bühne gestiegen. Okay, wir sind ja Profis (lacht). Es war aber ein bisschen windig auf dem Deck (grinst), und das Ganze wurde dann noch mit "thunder and lightning" gewürzt (lacht).
MF: Wie kam es zu «Balls To The Wall Reloaded»? Wer hatte die Idee dazu?
Udo: Keiner von uns, sondern das wurde von anderen Musikern, die wir auf Festivals trafen, an uns herangetragen. Geplant war nur eine Tour, und keiner hat daran gedacht, dass wir ein Album aufnehmen würden. Viele Musiker meinten jedoch, dass sie sehr gerne auf diesem oder jenem Song mitsingen würden. Daraus wurde langsam die Idee geboren, sich an dieses Album zu wagen. Wollten wir die "heilige Kuh" anpacken? Das ist immer mit einer gewissen Gefahr verbunden. Im Endeffekt ist uns die Umsetzung mit den Gastsängern aber gut gelungen, heisst es tut keinem weh (grinst).
"...Damals hat man sich keine Gedanken über irgendwas gemacht..."
MF: Wie riskant ist es, einen solchen Klassiker, bei dem ihr beide mitgespielt habt, nochmals einzuspielen?
Peter: Nervös waren wir schon, nach so vielen Jahren.
Udo: Man stellt sich die Frage: "Treffe ich die Töne noch?" Aber ich denke, wir alle haben sie getroffen (lacht). Es hat Spass gemacht, und wenn man im Studio steht, das ging Peter sicher genauso, ist das wie ein Déjà-vu. Es war schon irre, alles noch einmal Revue passieren zu lassen. Wir haben uns ziemlich ans Original gehalten. Die einzige Änderung gab es bei «Losing More Than You’ve Ever Had», sprich statt der Geräusch-Kulisse haben wir ein Solo eingebaut. Das hat mich persönlich schon immer gestört.
Peter: Es war überhaupt komisch, das Album nochmals einzuspielen. Da liegen vier Jahrzehnte dazwischen. Plötzlich fällt dir auf, wie komplex einige Kompositionen sind. Heute spricht man über «Balls To The Wall» und denkt an ein geiles Album. Aber wenn du die Songs selbst und ihre Strukturen analysierst, da habe ich echt keine Ahnung, wie wir uns das ausgedacht haben. Auch die Länge der Lieder. Damals machten wir uns keine Gedanken darüber, sondern spielten einfach drauflos. Wir probten ohne Ende, fünf bis sechs Tage in der Woche, und haben alles mit einem kleinen Kassettendeck aufgenommen. Und nun sitze ich mit 65 Jahren da und spiele das Werk noch einmal ein. Das ist interessant (grinst).
Udo: Was? Damals warst du schon 65? (schallendes Gelächter). Wie Peter sagte, damals hat man sich keine Gedanken über irgendwas gemacht. Schon gar nicht, dass diese Scheibe uns eine Weltkarriere bescheren würde. Das Video zu «Balls To The Wall» kam genau zum Start von MTV. Wir dachten nur: "Irgendwas passiert da gerade", und dann tourten wir fast drei Jahre am Stück durch Amerika.
MF: Kamen bei euch Erinnerungen hoch, wie ihr damals das Album 1983 eingespielt habt?
Udo: Keiner von uns hatte einen Plan, wie man produziert. Wir wollten einfach nur Musik spielen. Trotzdem merkten wir, dass die Scheibe rein von den Songs her sehr rund ist.
Peter: Stimmt!
Udo: Louis Austin hat uns damals in die richtige Richtung gelenkt. Im Endeffekt hat uns dann Michael Wagener den perfekten Mix zusammengeschustert.
Peter: Michael hat alles neu gemischt, weil uns der erste Mix nicht gefiel. Allein für «Balls To The Wall» brauchten sie von den insgesamt elf verfügbaren Tagen gleich deren vier. Da merkte man schon, dass der Song eine besondere Bedeutung hatte (grinst). Als wir in Amerika ankamen und am ersten Abend vor KISS spielten, kannten alle «Balls To The Wall», dank MTV.
"...Man steht auf der Bühne und denkt nur: Ach du Scheisse, da musst du heute Abend spielen..."
MF: Wie war es für euch, mit einer Band in der Grössenordnung von KISS in Amerika zu spielen?
Udo: Ich erinnere mich an unseren ersten Soundcheck in einer riesigen Halle für 18'000 Leuten, gigantisch. Man steht auf der Bühne und denkt nur: "Ach du Scheisse, da musst du heute Abend spielen" (grinst). KISS waren sehr hilfreich und haben uns einiges über das amerikanische Entertainment beigebracht. Die Jungs waren sehr freundlich, und wir haben viel auf dieser Tour gelernt.
Peter: Das stimmt!
MF: Wie seid ihr bei der Neueinspielung von «Balls To The Wall» vorgegangen?
Peter: Wir wollten alles so authentisch wie möglich machen. Sechs oder sieben Songs spielen wir seit vierzig Jahren – das bedeutet, dass sie auf der Bühne einen neuen Anstrich bekommen haben. Da fragt man sich dann: "Welche Version spiele ich nun?" (grinst). Das macht aber eigentlich keinen grossen Unterschied …
Udo: …na ja…
Peter: …es waren kleine Dinge. Wir wollten uns nichts beweisen, sondern haben alles sehr authentisch gehalten, um das Album zu zelebrieren.
Udo: Ein nicht zu unterschätzender Punkt waren die Gäste – sie waren der wichtigste Punkt. Hätten wir die Scheibe nur neu aufgenommen, ich denke, das wäre nicht so gut geworden, und dann hätten die Leute das Album auch nicht so toll gefunden. Um dem Ganzen einen anderen Touch zu geben, eine andere Atmosphäre, konnte dies mit den Gastsängern und Gastsängerinnen sehr gut umgesetzt werden. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Wir haben den Gästen auch nicht gesagt, dass sie nur diese Strophe oder nur den Refrain singen sollen, sondern wir liessen sie den kompletten Song einsingen, sodass wir am Schluss damit herumspielen konnten: "Was passt am besten zu mir und was zu den Gästen?" Wenn ich alle Interviews Revue passieren lasse, dann hat niemand gesagt: "Meine Güte, was habt ihr denn da produziert?"
"...Normalerweise gehen solche Dinge nach hinten los..."
MF: Das denke ich auch, ohne Guests wäre es kritisch geworden…
Peter: …ohne sie hätten wir es auch nicht gemacht. Das Einfügen der Gast-Gesänge hat am längsten gedauert. Es war auch für Andrey und Dee nicht so einfach. Sie mussten diese ikonischen Solos spielen, was ja nicht so easy ist. Jeder musste dabei sein absolut Bestes geben, denn das Album musste richtig, richtig gut werden. Normalerweise gehen solche Dinge nach hinten los – da haben wir echt Glück gehabt.Udo: Wir hatten dank Stefan Kaufmann auch den richtigen Hintergrund. Er hat viel mit Sven gearbeitet und ihm gezeigt, wie gewisse Dinge zu trommeln sind. Sven hat einzelne Parts leicht verändert. Da Stefan auch Gitarrist ist, konnte er zudem mit Dee und Andrey arbeiten. Stefan war ausserdem im Hintergrund involviert. Bei den Chören waren Peter und er dabei, und ich versuchte, meinen Gesang zu integrieren…
Peter: …das hast du sehr gut gemacht.
Udo: Ja, danke (lacht).
MF: Seien wir ehrlich, «Balls To The Wall» ist letztlich dank deiner Stimme ein derart grosser Klassiker geworden.
Udo: Ja, da hast du recht, Martin. Ich nenne das Ganze immer "the beauty and the beast".
Peter: Jegliche Neuaufnahme eines Accept-Klassikers…, wenn da nicht Udo singt, bin ich mir nicht sicher, ob das sein muss. Es ist dann nur eine Cover-Version, und das ist der Unterschied. Die Original-Stimme mit einer fast originalen Besetzung, und das ist schon geil!
MF: Nach welchen Kriterien habt ihr die Gäste für das Album ausgewählt?
Udo: Es gab eine ellenlange Liste, die A-, B- und C-Liste (grinst). Auf der A-Liste mussten wir leider zwei Leute streichen. Für «Balls To The Wall» hätten wir gerne den Till Lindemann gehabt. Er fühlte sich sehr geehrt und schrieb ein persönliches E-Mail, aber lag im Krankenhaus wegen einer Knieoperation, wenn ich das richtig wiedergebe. Lzzy Hale sollte «Turn Me On» singen. Da gab es aber Probleme mit der Plattenfirma und ihrem neuen Album. Sie war deswegen auch ein bisschen sauer, weil sie nicht dabei sein konnte. Aber wir haben Dee Snider, Mille, Michael Kiske, Danko Jones, Doro, Nils Molin und Ylva Eriksson von Brothers Of Metal. Sven kam mit der Idee an, dass ein paar junge Leute nicht schlecht wären für die Gasgesänge.
Das hat auch alles hervorragend funktioniert. Eigentlich sollte Joacim von HammerFall dabei sein. Der hatte aber keine Zeit, und so sprang kurzfristig Tim "Ripper" Owens ein. Das war für ihn kein Thema, und so kam es zu «Guardian Of The Night». Interessant ist auch, dass wir wissen, wie die Songs klingen, wenn die Gäste sie komplett gesungen haben. Hört man sich zum Beispiel «London Leatherboys» mit dem Gesang von Biff an, dann kriegt man das Gefühl, es sei ein Lied von Saxon. Oder Kiske bei «Losing More Than You've Ever Had» lässt einen denken, dass dies ein Track von Helloween ist. Diese Mischung, der eigenen Charakteren, den die Leute mit mir zusammen eingebracht haben, da bin ich mit dem Ergebnis mehr als zufrieden.
Peter: Interessant ist auch, egal welchen Song du vom Album nimmst, sie klingen alle geil, wenn sie jemand anders singt. Das sind grossartige Kompositionen, aber die Basis muss immer dabei sein, sprich Udo muss die Songs singen. Mir ist aufgefallen, wie ausgeklügelt diese Nummern schon damals waren. Das ist jetzt vierzig Jahre her.
Udo: Ein wichtiger Punkt war auch, dass die Leute Spass hatten. Das war nicht einfach ein Job, sondern sie waren echt in den Nummern drin. Hut ab!
MF: Mille ist sicherlich mit diesem Album aufgewachsen…
Peter: …ja, logisch…
MF: …da sind Kindheitserinnerungen dabei.
Udo: "Soll ich das wirklich machen?" hat er uns gefragt. "Meine Stimme passt da doch nicht!" Aber es hat bestens gepasst.
MF: Habt ihr damals schon gedacht, dass «Balls To The Wall» dermassen einschlagen würde?
Peter: Nein, definitiv nicht!
Udo: Wir haben mit «Balls To The Wall» eine hervorragende Europa-Tournee gespielt. Dass dann alles in Amerika explodierte und der Song dank MTV über Nacht in mehr als 120 Radiostationen gespielt wurde, damit hat kein Mensch gerechnet.
Peter: Als kleine deutsche Band haben wir «Balls To The Wall» aufgenommen, sind nach Amerika gegangen und als internationale Stars zurückgekommen. Ohne «Balls To The Wall» wären wir heute nicht da, wo wir sind, und würden dieses Interview nicht geben.
Udo: Mit Sicherheit. Also Interviews schon, aber nicht in dieser Form (beide lachen). 1984 konnten wir die drei "Monsters Of Rock Festivals" spielen. Nürnberg, Karlsruhe und…
Peter: …Donington!
"...Unsere Geschichte ist sehr vergleichbar mit der der Scorpions..."
Udo: Das war damals ein Höllen Line-up mit AC/DC, Van Halen, Ozzy, Dio, Gary Moore und Mötley Crüe. Das war die Crème de la Crème. Wir wurden in Europa abgefeiert und wussten, dass wir zu einer internationalen Band herangewachsen sind. Unsere Geschichte ist sehr vergleichbar mit der der Scorpions. Die feierten ihre Erfolge auch zuerst in Amerika. Der Erfolg in den Staaten hat uns in Europa Türen aufgestossen und sehr geholfen.
MF: Warum habt ihr euch für «Balls To The Wall» entschieden und nicht für «Restless And Wild», «Metal Heart» oder «Russian Roulette»?
Udo: «Balls To The Wall» ist das richtige Album. «Metal Heart» kommt ja noch (schallendes Gelächter). Ich meine, in fünf oder zehn Jahren. Spass beiseite! Auch vom Tenor der Sänger war «Balls…» die Scheibe, das Album! «Metal Heart» wollen wir nicht in den Schatten stellen. Die beiden sind sicherlich die klassischen Accept-Alben.
Peter: Das Album wurde nur eingespielt, weil wir diese Tour machen. Es gibt keinen anderen Grund dafür. Das wird einmalig sein, und dann geht es wieder an eine neue U.D.O.-Scheibe. Das macht auch mehr Sinn. Wir haben in unserem Alter keine Zeit mehr zu verlieren (grinst).
Udo: Mit dem «Balls To The Wall Reloaded» Album sind wir bis ins Jahr 2026 unterwegs. Da müssen wir schauen, dass wir dazwischen das neue U.D.O. Album fertigkriegen. Über zu wenig Arbeit können wir uns also nicht beklagen.
MF: Udo, du hast mit U.D.O. versucht, aus dem Schatten von Accept herauszutreten, und hast das in meinen Augen auch bestens hingekriegt. Die Accept-Songs verschwanden zunehmend aus der U.D.O. Setliste, und trotzdem hast du den Weg mit Dirkschneider gewählt und präsentierst weiterhin Accept-Songs. Ist deine musikalische Vergangenheit doch ein zu grosser Schatten, weil die Fans die Accept-Songs von dir verlangen?
Udo: Ich sags mal so: Diese ganze Geschichte, die wir jetzt machen, wir eine reines Accept Ding sein. Du weisst auch, dass ich fast drei Jahre lang die Accept-Nummern mit Dirkschneider spielte. Dann hatte ich, auf gut Deutsch gesagt, die Schnauze voll (lacht). Ich hatte genügend U.D.O.-Alben und ein bisschen voreilig gesagt: "Accept spiele ich nicht mehr!" Heute habe ich den Vorteil, dass ich sowohl U.D.O. als auch Dirkschneider machen kann. Wenn wir mit U.D.O. unterwegs sind, dann wird es auch nur U.D.O. geben. Aber mit Peter – und das ist nicht böse gemeint – kommen die Leute an und sagen: "Bei euch ist mehr Accept auf der Bühne als bei der anderen Band." Wenn wir wieder mit U.D.O. live auftreten, kann es sein, dass wir wieder ein paar Accept-Lieder einbauen, vielleicht Tracks, die die Leute nicht erwarten? Ich habe mich einmal sehr lange mit Ronnie James Dio unterhalten, und er fragte mich: "Wieso spielen wir noch neue Alben ein? Die Leute wollen doch nur den alten Kram hören! Give the people what they want!" Dafür sind wir da, um die Menschen zu unterhalten.
"...Die haben mich irritiert und sind mir auf den Sack gegangen..."
MF: Wann habt ihr festgestellt, dass das Musik-Business eben auch nur ein Geschäft ist und von Geld regiert wird?
Peter: Der Business-Effekt und der Einfluss anderer Leute, zum Beispiel von der Plattenfirma, war nach «Balls To The Wall» stark zu spüren. "Ihr müsst euch ändern, anders klingen, mit anderen Produzenten arbeiten." Da waren zum ersten Mal diese äusseren Einflüsse. Die haben mich irritiert und sind mir auf den Sack gegangen. Wir wollten Musik machen und plötzlich waren andere Leute da, die mit- und reinreden wollten. Das war scheisse, und daran sind viele Bands kaputtgegangen. Unter anderem passierte das auch bei Accept. Zu viele äussere Einflüsse haben Accept mit dem Album «Eat The Heat» zu Grabe getragen. Dazu finde ich keine Worte, aber das ist alles auch schon ganz lange her (grinst). An solchen Geschichten sieht man, wie sich Dinge im Leben entwickeln. Jetzt sind Udo und ich wieder zusammen. Das passt und fühlt sich richtig an. So ist das Leben (grinst).
MF: Meine Lieben, ich danke euch einmal mehr für dieses tolle Interview und freue mich, euch am 25.03.2025 im Z7 zu sehen.
Udo: Wir sehen uns in Pratteln, mein Lieber! Pass auf dich auf…
Peter: …bis dann und bleib gesund. Tschüss!