Swiss Hard Rock and Heavy Metal Magazine since 1999
You can reach us via email or phone.
+41 (0) 79 638-1021
"...und darum war es 1989 für mich ausgesprochen schlimm, als ich aus der Band geworfen wurde. Das kam eigentlich einem Todesurteil gleich..."
Ab und zu bereitet man sich auf ein Gespräch mit einem Musiker vor, und dann kommt doch alles anders, als man denkt. So auch beim Interview mit Hans Ziller, seines Zeichens Leader von Bonfire. Einen Tag vor dem Zoom-Meeting schickte mir der Gitarrist über WhatsApp eine Mitteilung, dass er an einem Buch arbeiten würde. Somit standen nicht nur die drei Re-Releases der bekanntesten Bonfire-Alben auf dem Programm, sondern auch die beschriebenen Seiten. Zudem durfte der Ingolstädter letztes Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiern, und das seiner Truppe, zählt man die ersten Cacumen-Jahre auch zum Bestehen von Bonfire dazu.
Es stand Einiges auf meinem Fragebogen, das es zu klären galt. Ganz nebenbei verliess auch noch Sänger Alexx Stahl die Combo, sodass sich Hans nun auf folgende Bandmembers fokussiert: Frank Pané (Gitarre), Ronnie Parkes (Bass), Fabio Alessandrini (Schlagzeug) und Dyan (Gesang). Und wenn schon Neuigkeiten im Raum stehen, dann gleich richtig! Wie erwähnt, konnte ich nach der ersten Frage meinen Notizblock beiseite legen, weil sich das Gespräch in eine Richtung entwickelte, mit der ich nicht gerechnet hatte. Hans präsentierte einmal mehr seine sehr offene wie ehrliche Art und führte das letzte Interview mit ihm quasi auf eine gewisse Weise weiter.
MF: Hans, wie geht es dir?
Hans: Danke, gut. Ich bin momentan doppelt ausgelastet (grinst), da ich einerseits das neue Studio-Album aufnehme, welches 2024 erscheinen wird, und andererseits an der Fertigstellung meines Buches arbeite. Da bin ich am Feinschliff, sprich Kleinigkeiten müssen noch geändert werden. So wechsle ich immer zwischen den Aufnahmen und dem Computer fürs Redigieren hin und her (grinst).
MF: Wie kommt es dazu, dass du ein Buch schreibst?
Hans: Das hat zwei Gründe. Erstens logischerweise Bonfire, beziehungsweise mein Leben mit der Band. Sie begleitet mich, zusammen mit der Vorgänger-Band Cacumen, seit 1972. Da gibt es viel zu erzählen (lacht). Dazu kommt, dass ich an einer bipolaren Störung leide. Das ist eine psychische Erkrankung. Dabei bist du manisch-depressiv, und es besteht ein stetiger Wechsel zwischen diesen beiden Welten. Jeder Mensch ist manisch, aufgedreht oder dann depressiver. Bei der bipolaren Störung sind die Wechsel jedoch ausgeprägter. Das bedeutet, du bist extrem manisch oder extrem depressiv, und diese Krankheit wird weiter vererbt. Ich habe sie von meinem Vater bekommen, und sie ist nicht heilbar. Man kann sie nur eindämmen. In Deutschland gibt es drei Millionen Menschen, welche bipolar sind, wobei die Dunkelziffer noch viel höher ist, weil dies vielen nicht bewusst ist. Bei mir wurde dies auch erst 2009 diagnostiziert. Ausgebrochen ist die Störung bei mir, als ich siebzehn Jahre alt war. Seitdem lebe ich mit dieser Krankheit, war mir darüber aber nicht bewusst.
Wenn ich zurück blicke, gab es Situationen, bei denen ich dachte, da ist was komisch. Wieso bin ich ganz schlecht gelaunt, von heute auf Morgen oder wieso dermassen aufgedreht. Darüber wollte ich schreiben, weil es viele Leute betrifft und sich dabei nur die Wenigsten outen und viele es verbergen, weil sie der Meinung sind, dass sie für verrückt gehalten werden. Trotz der Erkrankung habe ich mein Leben einigermassen gut hingekriegt. Dies möchte ich den Leuten mitteilen. Wenn man diszipliniert ist, kann man trotz der bipolaren Erkrankung ein schönes Leben führen. In meinem Buch wird darüber berichtet. Teilweise ist dies auch eine lustige Angelegenheit (grinst). Ich wurde zweimal in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Das ist wie bei "Einer flog übers Kuckucksnest" (lacht). Das ganze Programm mit Zwangsjacke und so weiter. Da erlebte ich viele Dinge, bei denen ich mich fragte, wo bin ich hier bloss gelandet?! Ich wollte im Buch nicht nur über die typischen Rock-Themen schreiben, da es im Leben auch andere Aspekte gibt, die wichtig sind.
MF: Hat es dich Überwindung gekostet, darüber zu schreiben?
Hans: Teilweise ja…, es befällt einen eine gewisse Angst, dass der Nachbar unvermittelt seine Kinder einsperrt, weil der Verrückte wieder die Strasse entlang läuft (grinst). Als ich in der Klinik war, lernte ich viele Leute kennen. Vom Chef eines grossen Unternehmens bis hin zum Sozialhilfe-Empfänger war alles anzutreffen. Alle Schichten der Gesellschaft. Das ist eine Erkrankung, für die du nichts kannst. Du trinkst nicht ein Leben lang Alkohol, und dies ist das Resultat davon, sondern der Auslöser steckt in deinen Genen. In irgendeiner Situation bricht sie aus. Bei mir war es mit siebzehn, als ich drei schwere Darm-Operationen durchstehen musste. Damals bekam ich Morphium gegen die Schmerzen. Dadurch wurde ich abhängig, machte meinen ersten Entzug, und dabei ist die Krankheit bei mir sehr wahrscheinlich ausgebrochen.
Die Lebenserwartung ist bei einer bipolaren Erkrankung um zehn Jahre verkürzt. Von den drei Millionen Menschen, bei denen man die Erkrankung kennt, bringen sich zwei Prozent davon um. Steckst du in einer Hypomanie, also wenn die Manie und die Depression schnell wechseln, dann ist die Gefahr sehr gross, dass sich die betroffene Person umbringt. In einer Depression bringt sich keiner um, weil die Energie dazu fehlt. Fällst du aber gleich wieder in die Manie zurück, wirst du die Kraft dazu aufbringen. Ich habe zwei Selbstmord-Versuche hinter mir, die ich, Gott sei Dank, überlebt habe. Ich finde es gut, wenn jemand so etwas durchmacht, darüber spricht und für andere eine Lanze bricht.
MF: Wussten deine Bandkumpels von Bonfire, dass du diese Krankheit in dir trägst?
Hans: Nein. Ich habe das, wie eben angesprochen, erst 2009 erfahren. Es gibt viele Persönlichkeiten, welche dasselbe durchgemacht haben. Wie Kurt Cobain (Nirvana), Ozzy Osbourne, Friedrich Schiller, Goethe oder Theodore Roosevelt. Ich weiss nicht, wie ich damit umgegangen wäre, wenn ich früher davon gewusst hätte. Ich denke…, wenn man jünger ist, schiebt man eine solche Geschichte lieber vor sich her oder auf die Seite. Meine heutige Besetzung weiss davon. Die Jungs gehen wirklich toll damit um und helfen mir auch, wenn die Situation sich verschlechtert.
MF: Wie wichtig ist in dieser Zeit für dich die Musik geworden, so zu sagen als "Medikament" gegen deine Störung?
Hans: Musik ist alles! Bonfire waren immer mein Leben, und darum war es 1989 für mich ausgesprochen schlimm, als ich aus der Band geworfen wurde. Das kam eigentlich einem Todesurteil gleich und war ganz heftig. Ich habe allerdings immer daran geglaubt, dass ich eines Tages wieder bei Bonfire sein werde (lacht). Man darf nie aufgeben!
"...Auch wenn das Vinyl seit einiger Zeit vermehrt gekauft wird, gibt es dafür kaum mehr Presswerke, und du musst deinen Auftrag ein Jahr vor dem Release platzieren..."
MF: Du bist, wenn man die Zeit mit Cacumen dazu zählt, ein halbes Jahrhundert im Musikgeschäft unterwegs. Welches Fazit ziehst du aus diesen fünf Jahrzehnten?
Hans: Das Geschäft hat sich extrem gewandelt. Man muss bedenken, als wir starteten, war die erste, eigene Single in Ingolstadt eine Sensation (lacht). Wir waren die erste Truppe überhaupt, die eine Single aufnahm und veröffentlichte (lacht). Damals gab es drei Combos, und heute sind es zehnmal so viele. Früher musste man sich den Erfolg erspielen. Wir tingelten alles ab was möglich war, von Berlin über Hamburg bis nach Belgien. Teilweise waren drei bis fünf Leute da, aber du hast gespielt und nicht aufgegeben, damit deine Band bekannter wurde. Heutzutage ist es völlig anders, alles geht über "buy-on", und du musst als neue Band zahlen, damit du spielen kannst. Heute gibt es zigfach mehr Truppen. Löst sich eine auf, stehen umgehend fünf Neue bereit, um deren Platz einzunehmen (lacht).
Jeder betreibt zudem noch ein oder zwei Solo-Projekte, damit er überleben kann. Das ist das Problem, dass heute vieles nicht mehr funktioniert. Die Fans können sich im Monat nicht zwanzig Shows ansehen, denn dazu fehlt das Geld. Sie schauen sich lieber einmal Rammstein oder Iron Maiden an, und das war es dann für ein Jahr. Das hat sich alles sehr gewandelt in den letzten Jahrzehnten. Mir fällt auf, dass die ganzen alten Truppen noch immer da sind. Iron Maiden, Judas Priest oder Mötley Crüe. Sie füllen immer noch die Konzertsäle. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es wenig gute, neue Combos gibt. Es hat sich auch einiges hin zu Tribute- und Cover-Bands gewandelt. Früher hörte man sich den Sound des DJs an, und heute hört man sich die alten Klassiker bei einer Cover-Band an. Spielst du als Cover-Truppe nur die Lieder anderer Künstler nach, bleibt halt die Kreativität auf der Strecke liegen.
Ich bin froh, dass Bonfire noch immer existieren. Es hat sich sehr viel verändert, auch mit den digitalen Möglichkeiten. CDs werden kaum noch verkauft. Spotify und all die Anbieter verticken die Songs für lau. Auch wenn das Vinyl seit einiger Zeit vermehrt gekauft wird, gibt es dafür kaum mehr Presswerke, und du musst deinen Auftrag ein Jahr vor dem Release platzieren, damit dir deine Scheiben zur Veröffentlichung zur Verfügung stehen. Das ist auf der einen Seite positiv, wenn sich Platten wieder mehr verkaufen lassen, aber das Meiste läuft nur noch über die Streaming-Plattformen. Zudem musst du viel mehr Videos produzieren, damit du auf YouTube präsent bist. Wir haben sieben Singles von den drei Remakes ausgekoppelt und vier Videos dazu gedreht. Früher reichte ein Video und eine Single (lacht).
MF: Das geht in eine ähnliche Richtung, wie ich vor einiger Zeit mit Alice Cooper in einem Interview sprach. Dabei erzählte er mir, das Problem mit der heutigen Musik sei, dass sicherlich die besseren Instrumentalisten als damals spielen, aber die Eigenständigkeit wie Individualität fehle, und die Bands keine richtigen Songs mehr schreiben können, mit einem klaren Aufbau, die im Kopf des Zuhörers hängen bleiben. Würdest du diese Aussage unterschreiben?
Hans: Absolut! Ich hätte es nicht besser ausdrücken können (lacht). In meinem Buch schreibe ich darüber, wie ich meinen eigenen Schreibstil entwickelt habe. Ich bin sicherlich nicht der Schnellste und mache keine wilden Kapriolen auf den Tonleitern. Mir ist es aber wichtig, dass man meinen Kompositions-Stil erkennt, wie Alice sagte, man muss einen guten Song schreiben, der am Lagerfeuer mit einer Akustik-Gitarre funktioniert, wie bei «You Make Me Feel». Es ist unglaublich, wie diese Ballade in den letzten Jahren explodiert ist. Wir haben jetzt dreissig Millionen Abrufe auf YouTube. Das ist unglaublich (lacht). Es ist ein Song, der im Ohr verbleibt, und es finden sich prägnante Elemente darin, das ist wichtig. Es bringt nichts, wenn man bloss einen neuen Geschwindigkeits-Rekord auf dem Griffbrett aufstellt (lacht).
MF: Du hast vorhin die drei Neuauflagen von «Don't Touch The Light» (1986), «Fireworks» (1987) und «Point Blank» (1989) erwähnt. Wie kam es dazu?
Hans: Dafür gibt es eine kurze und prägnante Erklärung. Ich besitze die Rechte an diesen drei Alben nicht mehr, heisst die liegen bei der alten Plattenfirma. Sie hegen jedoch keine Absicht, diese erneut zu veröffentlichen. Über eine Nachrichten-Sendung bin ich auf Folgendes gestossen: Taylor Swift hatte Probleme mit ihrem Manager, der die Rechte an ihren ersten drei Alben wahrnahm. Sie wollte sie zurück haben, bekam sie aber nicht. Deshalb hat sie diese nochmals neu aufgenommen. Das habe ich jetzt mit meinen drei Scheiben auch so gemacht (grinst), um eben die Rechte an diesen Songs wieder zu erlangen. Das ist ein unspektakulärer Grund (lacht).
Wenn wir sie neu aufnehmen, möchten wir die Tracks etwas kräftiger einspielen. Bonfire waren in den 80er-Jahren eine Metal-Band. Unter dieser Voraussetzung haben wir die Lieder neu eingespielt und aufgenommen. Der Gitarrenklang ist etwas anders, ebenso wie die Solos, alles wurde härter abgemischt. Mit Alexx hatten wir bereits alles fertig. Er ist dann Knall auf Fall ausgestiegen, weil wir ukrainische Kinder unterstützt haben und er sich nicht für politische Zwecke einspannen lassen wollte. Wir haben Dyan an seiner Stelle gefunden, der ein grossartiger Sänger ist. In kaum zwei Wochen hat er nicht weniger als 35 Songs eingesungen! Wir haben bereits einige Shows mit ihm gespielt, und er singt live genauso wie auf Platte, der Typ ist unglaublich! Mit seinen dreissig Jahren sage ich ihm eine vielversprechende Zukunft voraus, wenn er sich nicht von anderen Dingen ablenken lässt (lacht).
"...haben wir dort zuerst Alice Cooper getroffen. Er sass mit Hausschuhen auf dem Sofa, schaute sich Horror-Filme..."
MF: Diese drei Alben waren die erfolgreichsten für Bonfire. Ihr habt damals in den USA aufgenommen («Fireworks»). Wie war das für dich als Deutscher in der damals heiligen Rockwelt?
Hans: Das war Zufall. Das erste Album «Don't Touch The Light» haben wir bei Dieter Dierks in Köln aufgenommen, und im "Studio 2" befanden sich Accept. Für «Russian Roulette» haben wir einige Chöre eingesungen. Dort haben wir dann Michael Wagener kennen gelernt. Er ist in die USA ausgewandert, und wir haben ihn gefragt, ob er Lust hätte, «Fireworks» zu produzieren. So sind wir in die USA geflogen. Für Deutsche war das wie im Wunderland (lacht). Plötzlich warst du an einem Ort, von dem du immer geträumt hast.
Als wir ins Studio gingen, haben wir dort zuerst Alice Cooper getroffen. Er sass mit Hausschuhen auf dem Sofa, schaute sich Horror-Filme an und sagte uns, dass er nur billige und schlechte davon bevorzuge, weil sie ihn am meisten inspirieren. Und gleich danach meinte er, dass wir, wenn wir nach draussen gehen, unbedingt einen Taucheranzug tragen sollten. Das sei wie ein Ganzkörper-Kondom, weil damals in L.A., wegen der Ansteckungsgefahr von AIDS, alles so gefährlich war. Das war unser erstes Treffen mit Alice (lacht). Jeff Pilson von Dokken sorgte derweil für die Backing-Vocals…
MF: …und Ken Mary (heute bei Flotsam And Jetsam, damals bei House Of Lords und Alice Cooper) hat das Schlagzeug eingespielt. Warum?
Hans: Wir haben die Vorproduktion in Deutschland mit Dominic Hülshorst gemacht, denn wir strebten einen ähnlichen Sound an, wie ihn Def Leppard damals hatten. Wir haben Michael diese Idee vorgestellt, und er sagte: "Nein! Das mache ich nicht!! (lacht)". Er wollte kein Plastik-Schlagzeug (lacht immer noch). Dominic war bei uns, aber er hatte die Songs nicht geprobt, weil alles programmiert war. Michael kannte jemanden, der das an einem Tag erledigen konnte, und das war eben Ken Mary. Er ist ein grossartiger Kerl, total freundlich, und während er die Drums einspielte, liess er die Drumsticks in seinen Fingern rotieren…, das war hammermässig (lacht). Er hat die Lieder eingetrommelt und auch eine weitere Version mit anderen Teilen aufgenommen, unglaublich! Ich habe selten einen solchen Drummer gehört.
MF: Wie kam es dazu, dass ihr euch von Cacumen in Bonfire umbenennen musstet?
Hans: Ich war dagegen, weil Cacumen mein Baby waren. Claus (Lessmann, Sänger) kam 1979 dazu. Für mich waren Cacumen einfach die Band! Natürlich war die Namenswahl nicht so glücklich. Ausserdem gab es von Seiten der Plattenfirma und des Managements die Anweisung, dass wir unter diesem Namen nicht arbeiten können. Meine Reaktion war: "Nein, das mache ich nicht!" (lacht). Aber wir mussten uns umbenennen, sonst würden sie uns fallen lassen. Also haben wir nach etwas Neuem gesucht, sind in die Bibliothek gegangen (damals gab es noch kein Internet), haben in Lexika nach klingenden Namen gesucht (grinst) und dabei Bonfire entdeckt. Wir dachten, das klinge wie Bon Jovi, und haben ihn genommen (lacht).
MF: Vielen herzlichen Dank für deine Zeit und das offene Gespräch.
Hans: Martin, immer wieder gerne.
MF: Alles Gute für die Zukunft, und wir sehen uns am 17. November 2023 in der Musigburg in Aarburg…
Hans: …danke dir, wir sehen uns ganz sicher dort. Ciao und bis bald.