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"...es wird hart sein, unser Debüt, das mittlerweile über dreissig Jahre alt ist, zu übertreffen. Ich bin nicht mehr in der Lage wie 1990 zu komponieren..."
Mit einem neuen Album von Bangalore Choir hätte ich jetzt echt nicht mehr gerechnet, und noch weniger damit, dass es so stark ausfallen würde. Sänger David Reece (Iron Aliens, Solo, ehemals Accept und Bonfire) lebt mittlerweile in Italien, beherrscht die italienische Sprache kaum und die deutsche nur ein bisschen, wie er mit einem breiten Grinsen zu Protokoll gibt. Trotzdem bemüht sich der US-Amerikaner immer wieder, sich in auf Deutsch zu verständigen, was Mister Reece sehr gut gelingt. David strahlte beim Interview und erklärte mir mit einem breiten Lachen, die Grundregel des Lebens begriffen zu haben: "Happy wife, happy life, wir sind die Tiere im Königreich, die sich ihren Platz an der Futterstelle suchen!", gibt der Shouter grinsend zu Protokoll, bevor wir ins Interview einsteigen können. Ein Gespräch, das einmal mehr weit weg von irgendwelchen Promo-Phrasen lag und einen sehr authentischen wie ehrlichen Musiker offenbarte.
Bangalore Choir legten 1992 mit ihrem Debüt-Album «On Target» schlicht einen sensationellen Start hin. Leider litt die Band damals ebenso unter dem aufkommenden Grunge, und so schnell, wie die Karriere begann, war sie leider auch schon wieder zu Ende. Trotzdem sind Klassiker wie «Angel In Black», «Loaded Gun», «Doin' The Dance», «Hold On To You» und «All Or Nothin'» immer noch Tracks, die ich mir sehr gerne anhöre. 2010 stürmte die Band wiedererstarkt mit «Cadence» meinen CD-Player und liess den hervorragenden Eindruck mit der zweiten Scheibe aufleben. «Metaphor» (2012) war dann das letzte Lebenszeichen, bis David eine Einladung erhielt, beim "Indoor Summer" 2022 in Hamburg zu spielen. Was sich daraus ergab, ist «Center Mass», der neuste Streich aus dem Hause Bangalore Choir.
MF: Letztes Jahr hast du am "Indoor Summer" in Hamburg gespielt. Wie war das für dich, nach so langer Zeit wieder Songs von Bangalore Choir zu spielen?
David: Unglaublich! Allein schon deshalb, weil ich der Headliner am Freitagabend war. Es war eine grosse Party, und sie war ausverkauft! Bei jedem Lied, das wir spielten, kannten die Fans die Song-Texte und sangen mit. Meine Solo-Band hat dabei einen wirklich grossartigen Job abgeliefert. Die Reaktionen waren umwerfend, und für uns war das Konzert sehr erfolgreich.
MF: Wann entstand die Idee für ein neues Album?
David: Ich denke, das müsste genau zu dieser Zeit gewesen sein. Mein Freund Giles Lavery nahm uns unter Vertrag und veröffentlichte unsere ersten drei CDs erneut. Er war der Meinung, dass wir etwas Neues produzieren sollten. Meine Reaktion darauf war: "Oh mein Gott, das wird aber ein schwieriges Unterfangen!" Allein unser Debüt «On Target» macht dies nicht einfacher. Ich begann also, Ideen auf mein Smartphone drauf zu singen. Bangalore Choir sind eine andere Geschichte als mein Solo-Material und Iron Aliens, bei denen ich viel härtere Musik komponiere. Eigentlich arbeitete ich an einem neuen Solo-Album, aber ich merkte, dass sich gewisse Ideen wie Bangalore Choir anhörten.
MF: Hattest du dir überlegt, das Album mit dem originalen Line-up einzuspielen?
David: Ian Mayo (Bass) ist auf «Back 2 You» zu hören, aber die anderen Original-Mitglieder befinden sich im musikalischen Ruhestand (grinst). Ian arbeitet im Filmgeschäft und für einen berühmten Comedian-Star. Das macht er seit zwanzig Jahren in den "Universal Studios". Darum ist die Musik für ihn an die zweite Stelle gerückt. Als ich ihn anrief, war er aber sofort begeistert und wollte auf dem Album mitspielen. Wir tauschten unsere Ideen aus und «Back 2 You» ist wirklich fantastisch geworden! Traurigerweise unterrichtet Curdt Mitchell (Gitarre) nur noch und geht nicht mehr auf Tour. Es gibt viele Leute, die nicht mehr mit dem Musik-Business in Berührung kommen wollen, und ich verstehe das auch. Ich vermisse ihn aber sehr, denn er ist ein musikalisches Genie. Wenn du ein Album aufnehmen kannst wie «On Target» und zusammen mit Curdt spielst..., die Möglichkeit mit ihm Musik zu machen war eine wundervolle Erfahrung. Nur Gott weiss, was dereinst sein wird, und vielleicht kommen wir ja wieder einmal zusammen.
MF: Als du die neuen Lieder komponiert hast, bestand eine klare Vorstellung davon, wie sie klingen müssen?
David: Ja..., ich arbeitete gemeinsam mit Mario Percudani (Gitarre). Zusammen mit Ian versuchten wir, die Lieder so nahe wie möglich bei «On Target» anzusiedeln. Ich habe mit Mario «Without You» und «Heat Of The Night» geschrieben, doch das ist schon einige Monate her. Wir haben die Tracks beiseite gelegt, weil ich ihm schon damals gesagt habe, dass sie sich nach einem neuen Bangalore Choir Album anhörten. Ich habe darauf Kontakt mit Jimi Bell von Autograph (House Of Lords, Demons Down) aufgenommen. Wir kennen uns schon seit Jahren. Ich bin sehr glücklich, dass ich von so vielen grossartigen Gitarristen umgeben bin (grinst zufrieden). Ricardo hat mit mir zusammen einige Lieder geschrieben. Ich habe mein Bestes gegeben und denke, dass das Endergebnis wirklich gut geworden ist. Magst du das Album?
MF: Natürlich!
David: Danke dir, Martin. Ich denke, es ist wirklich ein starkes Werk geworden, und die Reviews fallen positiv aus. Aber es wird hart sein, unser Debüt, das mittlerweile über dreissig Jahre alt ist, zu übertreffen. Ich bin nicht mehr in der Lage wie 1990 zu komponieren, da ich mich über all die Jahre verändert habe. In meinem Kopf sind andere Ideen, wie auch Iron Aliens und mein Solo-Material, die sich dort tummeln. Aus diesem Grund befinden sich drei unterschiedliche Bestien in meinem Kopf (grinst). Weisst du, Bangalore Choir ist eine Marke, wie auch Victory eine für Herman Frank ist. Die Leute kennen uns, und die Show in Hamburg hat uns das vor Augen geführt. Wir werden sehen, was die Zukunft bringen wird.
MF: Gibt es für dich einen Hit, der auf «Center Mass» heraus sticht?
David: Wow, Martin, das ist eine schwierige Frage..., du kennst «On Target», und du weisst, was ich meine (lacht)?! «Angel In Black», «Loaded Gun», «If The Food Die Young»..., ich denke «Back To Life» und «Heat Of The Night» liegen sehr nahe bei den alten Klassikern. Keine Ahnung..., wie denkst du darüber? Ich bin zu nahe bei diesen Songs, und deshalb ist es sehr schwer, deine Frage zu beantworten.
MF: «Heat Of The Night» sticht für mich klar heraus.
David: Weisst du was? Ich hatte vor drei Tagen einen Podcast. Gleiche Frage, gleiche Antwort (grinst). Die beiden die mich befragten, fuhren auf den Strassen von New York und brachten ihre Kinder in die Judo-Schule. Sie meinten, dass sie es nicht abwarten können, wieder zu Hause zu sein, um bei «Heat Of The Night» mitzusingen (grinst). Dieser Track besitzt auch einen gewissen Vibe von Night Ranger. Das ist dem Genius von Mario Percudani zu verdanken.
"... Ich könnte nicht auf die Bühne gehen und Songs interpretieren, wenn ich keine Verbindung zu ihnen aufbaue..."
MF: Gab es einen Song, der dich stimmlich gefordert hat?
David: Alle (lautes Lachen). Ich habe diese Vorstellung, wie ein Song zu klingen hat. Mag ich einen Track, werde ich ihn auch lieben. Ich könnte nicht auf die Bühne gehen und Songs interpretieren, wenn ich keine Verbindung zu ihnen aufbaue. Sind Ideen auf meinem Smartphone vorhanden, berühren sie mich, und ich glaube an sie, dann funktioniert es. Mögen die Lieder später den Fans gefallen? Das liegt ausserhalb meiner Kontrolle. Wenn ich etwas singe, dann fühle ich es auch. Somit fordern mich alle heraus. Du kannst "Woah Baby" millionenfach singen, aber ich glaube an tiefgehende Texte und sehr starke Melodien. Dies sollte auch immer die Basis eines Liedes sein. Nimmst du eine Idee auf, die zu einem Song wird, kann es immer wieder vorkommen, dass sich einzelne Teile verändern. Selbst beim Mischen tauscht man noch einzelne Parts aus, weil sie sich danach besser anhören.
Du versuchst immer alles so gut wie möglich zu machen. Es kommt stets vor, dass du tolle Stücke hast, aber es Raum zur Verbesserung gibt. Das kann auch ein gutes Zeichen sein oder du denkst, dass du noch Möglichkeiten hast, und dann zerstörst du die komplette Nummer. Die Leute neigen dazu, alles zu perfekt machen zu wollen und denken zu viel nach. Rock'n'Roll ist ein Lebensgefühl, das auch Spielraum lässt. Zumindest ist das ist meine Sichtweise. Weisst du, Nuno Bettencourt ist so ein Genie. Das neue Extreme Album «Six» ist grossartig geworden. Sie verstehen es, diese poppigen Gesänge mit solch unglaublichen Gitarren-Solos zu verbinden. Dinge, bei denen du dich nur fragst, was zur Hölle geht da gerade ab? Keine Ahnung, wie sie dies immer wieder fertig bringen.
MF: Du hast die Texte angesprochen. Schreibst du andere Lyrics für Bangalore Choir als für deine Solo-Songs und Iron Aliens, bei denen du oft sehr tiefgründige Themen verwendest?
David: Ja, ich denke schon. Herman Frank schreibt diese brutalen Riffs. Allein aus diesem Grund denke ich auf eine bedeutend aggressivere Art und bin mit meinen Gedanken bei politischen Aspekten und der Wut. Die Mentalität verändert sich. Bei Bangalore Choir sind es die Melodien, die das Bild zeichnen. Du hast nicht diese Doublebass Drum-Rhythmen. Es gibt gravierende Unterschiede. Wenn ich Texte komponiere und der Track mir gefällt, dann wandern meine Gedanken in meine Finger, die den Kugelschreiber führen. Es kann durchaus sein, dass ich nachts aufwache und sich Dinge im Kopf befinden, die ich tagsüber verarbeitet habe. Ich gehe ins Bett, und meine Gedanken kreisen dabei noch immer um diese Ideen wie Songs. Vielleicht habe ich mir vor dem Schlafengehen noch eine Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg angesehen. Viele Dinge schwirren in meinen Gedanken herum. Dann stehe ich nachts auf, um auf die Toilette zu gehen.
Es ist verrückt, ich stehe auf, habe eine komplette Idee in meinem Kopf, schnappe mir mein Smartphone und singe alle Gedanken darauf. Am nächsten Morgen (lacht) frage ich mich immer noch (lacht weiter), was zur Hölle habe ich da nur auf mein Phone drauf gesungen (lautes Lachen). Aber oft sind diese Ideen wirklich grossartige Gedanken, die ich dann für meine Songs verwende. So sorge ich für einen Vorrat an Ideen. Ich habe einen Titel, eine Melodie und den ersten Vers. Ab und zu tausche ich mich auch mit Jon Wilde aus. Ich schicke ihm meine Ideen, wenn ich nicht mehr weiter komme. Er hilft mir dabei, einen weiteren Vers zu schreiben, und dann weiss ich, dass es läuft. Der Refrain und alles andere fügen sich dann zusammen. Wenn ich sage, weniger ist mehr, ist das der Schlüssel zu vielen Dingen. Klar, Yngwie Malmsteen wird dir sagen, mehr ist mehr (grinst). Aber wenn du, wie Tom Petty, mit drei Wörtern alles sagen kannst was wichtig ist, dann bist du der Meister der Texte.
Ich denke, das sagt alles aus. Ich hoffe, dir damit deine Frage beantwortet zu haben. Es gibt einen Moment, an dem man anhalten und innehalten sollte. Keine Ahnung, wie du deine Texte schreibst, aber du kannst ein ganzes Buch über eine Geschichte schreiben, während andere mit ein paar Sätzen mehr aussagen. Ich versuche immer, mich zu verbessern. Ich liebe Harmonien, und Mario sowie Ricardo sind Meister darin. Sie spielen mit diesen Halbtönen, genau wie die Eagles. Du kannst sie nicht hören, aber sie sind da. Konzentrierst du dich darauf..., "wow, die sind wundervoll!" Was passiert da? Es ist sehr schwierig, sie zu singen. Genauso wie bei den Beatles, sie waren die wahren Meister darin. Es gibt einige Bands wie Led Zeppelin, Queen, Aerosmith oder The Who. Sie sind diese Grössen, die über all die Jahre immer in der gleichen Besetzung unterwegs waren, mit diesen individuellen Charakteren. Sie haben Musik kreiert, die man nicht mehr vergisst. Das ist sehr selten geworden und letztlich doch das Schöne an der Musik.
MF: Ihr habt wieder das blonde Mädel auf das Album-Cover gepackt, das man schon auf «On Target» sehen konnte. War das für dich auch ein Zeichen, dass ihr musikalisch wieder zu euren Anfängen zurück wolltet?
David: Ja! Wir haben die Idee gemeinsam mit Hugh Gilmour ausgearbeitet. Das originale Bild stammte von mir, und ich habe es ihm zukommen lassen. Eines meiner Hobbys ist das Fotografieren. Dieser Frauenkörper war vorhanden, und das Zielfernrohr war auf ihr Herz gerichtet. Hugh hat mir dann ein sehr morbides, überarbeitetes Foto zurück geschickt (lacht), das eher zu einer Death Metal Band gepasst hätte (lautes Lachen). Ich habe alles gestoppt und ihm erklärt, in welche Richtung wir gehen wollen (lacht). So ist die blaue Lady mit der Pistole und den dunklen Strassen der Stadt entstanden. Das kam «On Target» schon näher (grinst). Mir gefällt das Cover, es ist sehr cool geworden, und ich bin mir sicher, dass man daraus tolle T-Shirts machen kann.
"...Je mehr ich mich auf die Musik fokussiert habe, desto mehr bin ich zu einer besseren Person geworden..."
MF: Ist es für dich heute einfacher geworden, dich auf die Musik zu konzentrieren? Immerhin hast du in den letzten Jahren an einigen Alben mitgearbeitet.
David: Es ist verrückt und seltsam. Ich erinnere mich noch, als wir vor einigen Jahren zusammen gesprochen haben und ich dir sagte, dass ich mich auf meine Solo-Karriere konzentrieren möchte. Erinnerst du dich? Kurz darauf wurden wir mit diesem blöden Virus konfrontiert. Innerhalb einer Woche habe ich 35 Shows verloren. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, wie ich überleben sollte. Plötzlich kamen Angebote rein. Ich bereue nichts. Zu Beginn des Interviews habe ich es dir gesagt: Mit der Frau und dem Überleben. Man versucht den Kopf über Wasser zu halten, und ich bin stolz darauf, wie gut mir das gelungen ist. Je mehr ich mich auf die Musik fokussiert habe, desto mehr bin ich zu einer besseren Person geworden.
Es scheint keinen Mittelweg zu geben, aber das ist in Ordnung so. Ich bin ein arbeitender Künstler, und manchmal kann es peinlich sein, wenn dich Leute nach deinem Beruf fragen. "Was, du bist ein Künstler? Warum kenne ich dich nicht?" Ja, ich bin Sänger! Habe ich die Möglichkeit, in meinem Leben zu machen, was ich will? Klar. Herman Frank und ich haben denselben Hintergrund. Wir haben beide bei Accept gespielt, zwar nicht zur gleichen Zeit..., und wir haben uns nie getroffen, obwohl wir bei den gleichen Shows aufgetreten sind. Als er mich dann gefragt hat, bei Iron Aliens einzusteigen, hat es nur einen Augenblick gedauert, und ich war dabei. Ich habe inzwischen begonnen Konzerte für Iron Aliens zu buchen, bin in die politische Seite des Geschäfts eingestiegen und musste mich mit Dingen auseinander setzen, die ich nicht verstehen wollte. Aber mein Fokus hat mich viel gelehrt und definitiv zu einem besseren Menschen gemacht.
MF: David, herzlichen Dank für das erneut sehr ehrliche Interview. Bleib gesund, und hoffentlich sehen wir uns bald wieder!
David: Danke dir, mein Freund. Es war schön, dich wieder zu sehen, Martin. Es hat mir, wie immer, sehr viel Spass gemacht. Lass uns bald wieder zusammen sprechen, und ich bin mir sicher, wir beide wollen das (lautes Lachen). Besuchst du mich bei meinen Solo-Shows im kommenden Januar in der Schweiz? Am 12. Januar 2024 werden wir in Zürich sein und tags darauf bei Johnny im "Lions Cave" in Trübbach.