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"... Ich habe eine Festplatte voller Musik, die zu keinem meiner Projekte passt..."
Das aktuelle Amorphis-Album «Halo» hat schon einige Monate auf dem Buckel, und die Finnen starten gerade auf grosse Europa-Tournee. Das allein wäre eigentlich Grund genug, mich, beim Tourstart in Zürich, an ihre Fersen zu heften und über Vergangenes, Aktuelles und Zukünftiges zu sprechen. Allerdings wollte ich mich ausnahmsweise nur bedingt mit Amorphis beschäftigen, denn Gründungs-Mitglied und Gitarrist Tomi Koivusaari hat die pandemiebedingte Bandpause genutzt, um seine "Festplatte der Ideen" zu entrümpeln.
Nun steht mit BJØRKØ eine neue Band und mit «Heartrot» ein Album in den Startlöchern, über das zu reden sich allemal lohnt. Ein völlig entspannter Tomi Koivusaari empfing mich nach dem Abendessen im Komplex 457, um mir Rede und Antwort zu stehen. In einem kahlen und eigentlich kreativfreien Raum, sprudelte es innert Kürze von verbaler Kreativität. Er berichtete in Englisch, mit leicht finnischem Akzent, über sein neuestes Schaffenswerk und verlor dabei natürlich auch ein paar Sätze zu seiner Stamm-Formation.
MF: Amorphis gründeten sich vor mehr als dreissig Jahren und heute gehören sie zu den grössten Metal-Bands weltweit. Wie fühlt es sich an, ein Teil davon zu sein?
Tomi: Nun, als wir gestartet sind, waren wir minderjährige Kids und hätten nie damit gerechnet, dass wir das nach mehr als dreissig Jahren immer noch tun würden. Aber die Zeit ging so schnell vorbei, und wir spielten plötzlich auf Wacken und nach uns Saxon. Da merkten wir, dass wir wohl angekommen sind und unsere Arbeit ein grosser Teil unseres Lebens einnimmt. Es ist grossartig! Ich kann es auch gar nicht von meinem privaten Leben trennen, denn ein grosser Teil meiner Arbeit ist eben auch das, was mich privat ausmacht. Es ist immer noch sehr toll, Musik zu machen und Konzerte zu spielen. Ich denke, dass wir bereits eine Runde gedreht haben und jetzt die Früchte unserer Arbeit geniessen können.
MF: Wenn ihr eine neue Platte veröffentlicht, ist oft Esa (Holopainen) das Sprachrohr der Band. Welche Rolle hast du innerhalb von Amorphis?
Tomi: Wir sind eine sehr demokratische Band, aber einige von uns sind einfach besser darin Dinge zu erklären und an vorderster Front zu stehen. Ich weiss nicht, vermutlich gehöre ich einfach zu der Gattung, die lieber im Hintergrund ein paar Songs schreibt und weniger gerne darüber berichtet. Es ist auch so, dass wenn wir an neues Material rangehen, Esa (Holopainen) und Santeri (Kallio) je zwanzig Songs mitbringen und ich in derselben Zeit drei geschrieben habe. Da macht es natürlich Sinn, wenn sie anschliessend auch über den Prozess berichten.
MF: Oder sie reden einfach gerne…
Tomi: (lacht) Das kann natürlich auch sein und würde es auch gut erklären.
MF: Als Amorphis mit «Elegy» und «Tuonela» langsam andere Wege einschlugen, hast du mit Pasi (Koskinen) die Band Ajattara gegründet. Jetzt hast du dein neues Projekt BJØRKØ am Start. Kannst du dich bei Amorphis zu wenig austoben?
Tomi: Nein, ganz so ist das nicht. Ich habe eine Festplatte voller Musik, die zu keinem meiner Projekte passt. Aber bereits vor vielen Jahren habe ich daran rumstudiert, was aus diesen Teilen werden könnte. Ich habe versucht, sie bei Amorphis zu integrieren, aber es hat einfach nicht gepasst. Während der Corona-Pandemie hatte ich aber plötzlich viel Freizeit und konnte mich diesen Melodien widmen. Schlussendlich habe ich mich für zehn Songs entschieden. Mir war schnell klar, dass diese Musik anders klingt als alles andere, das ich je gemacht habe. Aber wer nichts wagt, der nicht gewinnt. So habe ich dann einen (Gast-)Sänger nach dem anderen gefragt, und fast alle haben zugesagt. Es war viel harte Arbeit, aber es hat sehr viel Spass gemacht.
MF: Wann hast du zum ersten Mal mit dem Gedanken gespielt, etwas in diese Richtung zu machen?
Tomi: Es ist etwa fünfzehn Jahre her, als ich mir das erste Mal darüber Gedanken gemacht habe. Allerdings war es wirklich nur eine grobe Idee. Ich habe mir zurecht gelegt, dass es toll wäre, das Ding im Kasten zu haben bis ich vierzig bin. Wie es manchmal so ist, fand ich aber nie die Zeit dafür, und jetzt bin ich fünfzig. Als die Welt gerade auf Eis gelegt und auch mit Amorphis nicht viel los war, ergriff ich die Chance. Ich machte mir erst einmal Gedanken über einen passenden Namen, obwohl ich bei Beginn gar nicht zwingend im Sinn hatte, den Sound an ein Label weiter zu geben. So ist dann plötzlich BJØRKØ daraus entstanden.
MF: Ich habe gelesen, dass BJØRKØ Birkeninsel bedeutet. Was verbirgt sich hinter diesem Namen?
Tomi: Es ist eigentlich ganz simpel. Es handelt sich dabei um meinen Nachnamen (lacht). «Koivusaar(i)» heisst Birkeninsel auf Finnisch. Das habe ich dann ins Schwedische «Björkön» umgemünzt und damit es noch etwas aggressiver aussieht, habe ich mich beim norwegischen «ø» bedient – BJØRKØ. Du siehst, alles ganz einfach und irgendwie doch kompliziert (Gelächter). Es war einfach irgendwie naheliegend…
MF: Aktuell kennt man bloss zwei ganz unterschiedliche Songs von deinem kommenden Album «Heartrot». Was darf man Musikalisches sonst noch auf der Platte erwarten?
Tomi: Die beiden Singles sind vermutlich genau die zwei Songs, die wirklich am Weitesten auseinander liegen, was die Musik betrifft. Alles andere fügt sich gut ins Gesamt-Konzept ein und ist ein Teil vom Ganzen. Diese beiden sind aber zwei Extreme. Manches ist Finnisch gesungen, anderes Isländisch und schliesslich noch Englisch. Die zweite Single ist aber definitiv die leichteste, ja die weichste Nummer des Albums. Es war mitunter die Idee der Plattenfirma, möglichst zwei unterschiedliche Titel vorzustellen. Ich kann mir durchaus vorstellen, wer sich zuerst die erste Single «The Heartroot Rots» anhört und dann die zweite «Magenta», nicht genau weiss, was ihn auf der Platte noch alles erwartet. Man wird wohl einfach reinhören müssen (schmunzelt).
MF: Singst du auf der Platte auch wieder selbst oder überlässt du das deinen vielen Gastsängern?
Tomi: Ein wenig. Beim Song mit Tomi Joutsen haben wir uns den Gesang geteilt und bei der ersten Single mit Jeff (Walker) bin ich für die Backing-Vocals und ein paar Growling-Parts verantwortlich.
MF: Viele Texte wurden von deinem alten Abhorrence Kumpel Jussi Ahlroth geschrieben? Seid ihr über all die Jahre Freunde geblieben, und warum war gerade er der richtige Mann für diesen Job?
Tomi: Nun, ich habe noch nie Texte geschrieben. Das liegt mir einfach nicht (lacht). Es war aber schon bei Abhorrence so, dass ich für die Musik und er für die Texte verantwortlich war. Obwohl wir damals erst fünfzehn Jahre alt waren, hat das doch schon ganz gut geklappt. Unsere Freundschaft hat alles überdauert. Ich hatte diesmal ganz grobe Vorstellungen im Kopf, um was es sich inhaltlich handeln könnte, und dann habe ich Jussi um Hilfe gebeten. Es brauchte auch nicht viel Zeit. Ich habe ihm kurz erläutert, was mir vorschwebt, und er hat es umgesetzt.
MF: Dann waren die übrigen Texte Aufgaben für die Gastmusiker?
Tomi: Ja, genau! Ich habe alle Sänger gefragt, ob sie das machen möchten, und sie haben zugestimmt. Für einige war es sogar sehr wichtig, den Song mit eigenem Text zu besingen und teilweise auch die Muttersprache zu nutzen. Das war natürlich auch für mich sehr entlastend und völlig ok.
"...und so startete ich mit einigen Growls, dabei veränderten sich die Gesichtszüge meines Sohnes drastisch..."
MF: Wie sind die Aufnahmen, mit so vielen Musikern diverser Sparten, von statten gegangen?
Tomi: Die Musik habe ich mit den Band-Mitgliedern, innerhalb von ein paar Tagen, in Helsinki eingespielt. Einige kamen für die Gesangs-Aufnahmen sogar ins Studio, aber die meisten haben es bei sich zu Hause aufgenommen, denn es war immer noch Covid-Zeit und man durfte eigentlich gar nicht reisen. Aber es ist ja leicht, und schon lange zur Gewohnheit geworden, dass man sich Soundfiles hin- und herschickt. Aber mit Jeff (Walker) war es besonders lustig, denn dieser rief mich knapp eine Stunde bevor er ins Studio ging an und sagte mir, dass ich ihm ein Demo senden soll. Ich sagte zuerst, dass ich mehr Zeit bräuchte, denn ich war zu Hause und sass mit meinem Sohn am Küchentisch, während dieser Müsli in sich rein schaufelte. Jeff liess sich aber nicht abwimmeln, und so startete ich mit einigen Growls. Die Gesichtszüge meines Sohnes veränderten sich dabei drastisch (Gelächter).
MF: Das kann ich mir bildlich sehr gut vorstellen! Ich sehe gerade meinen Sohn vor mir, wenn ich mir solche Musik nur schon anhöre…
Tomi: Ja, genau, es gab viele Fragezeichen… (erneutes Gelächter).
MF: Das Cover-Artwork – das mich an «American Beauty» erinnert – zeigt dich inmitten eines Blumenfeldes. Ist dies das definitive Album-Cover?
Tomi: Oh ja, es ist das definitive Plattencover…
MF: Ok! Es ist ja sehr speziell. Was ist die Geschichte dahinter?
Tomi: Ich habe mir vorgestellt, etwas ganz anderes zu machen, heisst nichts so Metal-Typisches! Da gibt es diesen Fotografen, Sam Jamsen, mit dem wir auch die Fotos fürs Booklet von «Halo» gemacht haben. Er sagte mir, dass seine Frau ein Bild namens «Dead Flowers» im Studio habe, und für mich klang dies sehr spannend. Das könnte passen. Allerdings war es zu Beginn mehr als Scherz gedacht, als ich mich in die toten Blumen legte und ablichten liess. Die Zeit verging, und plötzlich standen wir vor dem Problem, ein Platten-Cover präsentieren zu müssen.
Also schaute ich mir die Fotos erneut an, verglich sie mit dem Sound der Platte und that's it! Es ist wirklich etwas ganz anderes, als man normalerweise im Heavy Metal zu Gesicht bekommt. Manche sagten mir bereits, dass ich wie ein Hippie in der Blumenwiese aussehe, aber mir gefällt es trotzdem. Es sind tote Blumen, und der Typ könnte ja auch tot sein, also sind wir doch gar nicht so weit von der ursprünglichen Materie weg (lacht). Es ist mein eigenes Projekt, und das darf sich ruhig etwas vom Rest abheben.
MF: Wirst du BJØRKØ live auf die Bühne bringen?
Tomi: Nein…, obwohl, es könnte möglich sein, aber das Schwierigste wäre wohl, alle Personen zur selben Zeit, am selben Ort, zu versammeln. Alle sind professionelle Musiker, die ständig auf Reisen sind. Es wäre sicher toll, aber ich sehe es als nicht realistisch an.
MF: Amorphis, Ajattara und BJØRKØ klingen sehr unterschiedlich. Hast du noch andere Ideen für künftige Neben-Projekte?
Tomi: Nein, zurzeit nicht. Vor zwanzig Jahren hatte ich ganz viele Neben-Projekte, aber momentan bin ich mit Amorphis so sehr ausgelastet, dass mir gar keine Zeit für Eigenes bleibt. Die Corona-Auszeit war diesbezüglich ein Geschenk, aber momentan geht gar nichts in diese Richtung. Falls ich eines Tages wieder einmal über Bonuszeit verfüge, wäre ein zweites BJØRKØ-Album durchaus möglich, da ich noch ganz viel Material an Lager habe, das noch nicht gebraucht wurde. Ich mache mir da aber überhaupt keinen Stress, denn Amorphis ist mein Haupt-Team. Aber sag niemals nie!
MF: Was können wir in Zukunft von dir und Amorphis erwarten?
Tomi: Wir werden nach dieser Europa-Tournee und nach einer kleinen Tour durch Finnland, vermutlich Anfang nächsten Jahres, mit der Arbeit an neuen Songs beginnen. Wenn alles klappt, sind wir zum Ende des Jahres sogar im Studio und können 2025 ein neues Album veröffentlichen. Das haben wir zumindest so geplant, aber momentan liegt der Fokus sicher noch auf der bevorstehenden Tour. Touren und neue Songs schreiben ist allgemein nicht so unser Ding. Wir konzentrieren uns gerne auf eine Sache.
"...Das war wirklich ein tolles Leben damals. Nicht besonders gesund, aber unterhaltsam..."
MF: Welche Vorbilder hattest du zu Beginn deiner Karriere?
Tomi: Als wir mit Amorphis begonnen haben, schaute ich zu Grössen auf wie Morbid Angel, Carcass oder Entombed, mit welchen wir auch gut befreundet waren. Mit zunehmendem Alter habe ich mich dann auch an anderer Musik orientiert, nicht bloss Death Metal, sondern auch an der Musik der 70er. Progressive Bands wie Pink Floyd haben es mir angetan. Jedenfalls durften wir auf unserer zweiten Tour Entombed supporten. Sieben Wochen in den USA, das war schlichtweg grossartig. Die Jungs hatten gerade «Wolverine Blues» heraus gebracht, ein Wahnsinns-Album. Das war wirklich ein tolles Leben damals. Nicht besonders gesund, aber unterhaltsam (lacht)!
MF: Du hast vorhin bereits Jeff Walker und jetzt Carcass erwähnt. Seid ihr schon länger befreundet?
Tomi: Oh ja! Vor knapp zwanzig Jahren hat Jeff eine ziemlich schräge Solo-Platte gemacht («Welcome To Carcass Cuntry» von Jeff Walker und Die Flüffers / Anm. d. R), auf der er mit Hilfe namhafter Musiker der Metal-Szene bekannte Country-Lieder neu interpretierte. Dabei habe ich alle Rhythmus-Gitarren eingespielt, und es war klar, dass er mir dafür einen Gefallen schuldig war. Aber ehrlich gesagt, es wäre für mich kein anderer in Frage gekommen, denn auf «The Heartroot Rots» steht ganz einfach Jeffs Name drauf. Für diesen Song hat übrigens auch Jussi den Text verfasst, aber er wusste bereits beim Schreiben, dass Jeff ihn singen wird, und so hat das von Anfang an perfekt gepasst.
MF: Was bedeutet eigentlich der Album-Titel «Heartrot»?
Tomi: Es steht symbolisch dafür, wenn ein Baum von innen zu verrotten beginnt. Das Herz ist angegriffen. BJØRKØ, also die Birke, sprich der Baum wird von innen heraus getötet. Das war so ziemlich der schwierigste Teil des Albums, einen passenden Titel zu finden. Wir sind oft als Band zusammen gesessen und habe uns überlegt, was denn gut passen könnte. Auch die Kombination mit den toten Blumen scheint jetzt durchaus plausibel (lacht). Ich finde, dass es sehr cool geworden ist.
MF: Danke für deine Zeit Tomi! Die letzten Worte gehören dir.
Tomi: Nun, wegen BJØRKØ, hört es Euch an. Es ist ein interessantes Album, für das man offen sein muss. Ansonsten schaut Euch Amorphis live an, geniesst unsere Show, und bald bringen wir neues Material heraus. Ich hoffe, Euch zahlreich an den Konzerten zu sehen.